Wintermond (German Edition)
wieder in die Couch zurück, „und dann gehen wir los.“
„Wohin?“, fragte Alex, als ob ihm nicht mehr dazu einfiel.
„Wir müssen eine Etage tiefer. Die Alte deponiert ihren Ersatzschlüssel normalerweise in einem Blumentopf neben ihrer Wohnungstür. Wenn das noch immer so ist, haben wir leichtes Spiel“, erklärte Diego so gelassen, als ob er von etwas Alltäglichem sprach.
Alex warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war 22:21 Uhr.
„Wozu die Knarre?“, wiederholte Alex die Frage, die er Diego bereits am Nachmittag gestellt hatte, noch einmal etwas deutlicher.
Der gebürtige Italiener lachte daraufhin gehässig auf.
„Wofür soll die schon sein, Alex?“
Alex zuckte mit der Schulter. Er ahnte eine Antwort, wollte sie aber aus Diegos Mund hören.
„Sollte irgendetwas anders als geplant laufen“, erklärte Diego, „dann wirst du schon wissen, wofür du sie brauchst.“
Alex dachte einen Moment lang über die Worte nach, kniff seine Lippen dabei angestrengt zusammen, bevor er sicher sagte: „Ich werd’ damit niemanden abknallen, falls du das meinst.“
„Ich mein’ gar nichts“, erwiderte Diego trocken und trank sein Bier leer.
Alex befreite sich aus seiner Jacke und zog die Pistole hervor. Während er dies tat, kam er sich wie ein Schwerverbrecher vor. Er trat auf den schmutzigen Couchtisch zu und legte sie darauf ab.
„Ich will die nicht“, sagte er sicher.
„Und was, wenn plötzlich einer der Kerle, denen du das Geld schuldest, vor eurer Haustür steht und dich fertig machen will? Wärst du dann nicht froh, dich verteidigen zu können?“, fragte Diego und löste damit ein ungutes Gefühl in Alex aus. Dieser fragte sich nun nämlich, ob die Typen wirklich so unberechenbar waren und musste daraufhin feststellen, dass Diego Recht hatte. Also nahm er die Pistole wieder an sich und stopfte sie zwischen Hose und Pullover an seine Seite. Dann blickte er wieder zur Uhr. Es war 22:36 Uhr.
„Warum diese minutiöse Zeitplanung?“, dachte Alex laut.
„Um 22 Uhr verlässt mein Nachbar das Haus. Er hat Spätschicht“, erklärte Diego. „Neben der Alten wohnen unter mir noch zwei Weitere. Irgendein Langzeitstudent und eine schwangere Tusse, die ihren Macker betrogen hat und nun von diesem terrorisiert wird und vorerst hier untergekommen ist. Die Tusse ist sowieso nie da. Die ist ständig am Feiern. Vielleicht will die ihr ungeborenes Etwas in Alkohol ertränken. Nur der Student ist fast immer da. Aber für die nächsten acht Wochen will er weg, hat irgend so ’nen Job in einem österreichischen Skigebiet. Heute Abend geht sein Zug. Deshalb wird er hier um Viertel vor abhauen und danach haben wir freie Bahn.“
„Woher weißt du das alles?“, gab Alex irritiert zurück.
„Na, bevor ich so ein Ding durchziehe, versuch’ ich schon einigermaßen planvoll vorzugehen“, erwiderte Diego trocken.
Alex nickte daraufhin. An seinem Hüftknochen konnte er die harte Knarre spüren, die sich zwar fremd anfühlte, ihn sich aber auf eine unheimliche Art und Weise mächtig fühlen ließ. Erneut schielte er zur Uhr, dessen Sekundenzeiger taktvoll über das Ziffernblatt zog. Es war 22:41 Uhr.
Alex wollte gerade etwas sagen, als Diego sich einen Zeigefinger auf die Lippen presste und ihm damit verdeutlichte, einen Moment lang ruhig zu sein. Alex sah, wie sich langsam ein schäbiges Grinsen unter Diegos Zeigefinger bildete. In der Ferne hörte er einen dumpfen Knall und wusste nach einigen Überlegungen, dass eine Tür unter ihnen zugeschlagen worden war.
„Und weg ist er“, sagte Diego stolz.
Seine Augen glänzten dabei, als ob ihm nicht etwas Heikles, sondern viel mehr etwas Erfreuliches bevorstand. Alex schluckte, während Diego sich von der Couch erhob und zur Tür schritt.
„Na, komm schon!“, forderte er Alex auf. „Umso schneller haben wir’s hinter uns.“
Alex folgte Diego zur Haustür und tastete dabei noch einmal unbewusst nach der Waffe. Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte, während Diego die Wohnungstür öffnete.
„Du brauchst keinen Schiss haben!“, sagte dieser, als ob er Alex’ Gedanken lesen konnte.
„Ich hab’ keinen Schiss“, verteidigte Alex sich selbstbewusst.
Sie verließen die Dachgeschosswohnung und eilten die Treppe in schnellen Schritten hinunter. Diego wirkte beinahe, als ob er es kaum erwarten konnte, endlich mit der Untat beginnen zu können. Sie durchquerten den schmalen Flur, dessen Boden so klebte, dass jedes Mal, wenn man den Fuß hob, ein
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