Wintermord
selbst denken konnte, lief Målle ums Auto und nahm die Verfolgung des Mädchens auf. Der Gedanke, dass sie entkommen und gewinnen könnte, war ihm unerträglich. Nicht jetzt, wo sie ihr zeigen wollten, wer hier das Sagen hatte.
Sie rannte mit ihren zerwühlten, halb ausgezogenen Kleidern in den Fichtenwald wie eine Irre. Nach zwanzig, dreißig Metern hatten sie sie eingeholt. Er hätte nicht sagen können, wie der Wolf über die Sache dachte, aber er selbst verschwendete keinen Gedanken mehr ans Ficken. Das Mädchen war einfach zu erbärmlich, aber irgendjemand musste ihr mal Manieren beibringen.
Hinterher würden sie sie bis zur Straße mitnehmen, und sie würde ihnen bestimmt dankbar sein, weil sie ihr nichts angetan hatten, obwohl sie gekonnt hätten.
»Beruhige dich!«, schrie er. Er meinte damit ebenso sie wie den Wolf, der Schaum vorm Mund hatte und seinem Spitznamen alle Ehre machte.
Und plötzlich stürzte sie. Ob sie ausgerutscht oder ohnmächtig geworden war, konnte er später nicht mehr sagen, aber sicher war, dass sie kopfüber stürzte und reglos liegen blieb.
Dann hörte er nur noch irgendwo am Rande den Wolf, der immer lauter schnaufte, bis er ihn irgendwann anschrie, er solle endlich still sein.
Es war zu dunkel, um etwas zu sehen, aber ihr Körper kam ihm so verdächtig still vor. Mit zitternden Händen tastete er nach seiner Taschenlampe, aber er brachte es nicht fertig, sie anzuschalten. Schließlich riss der Wolf sie ihm aus der Hand und leuchtete über den Schnee. Auf der Heimfahrt hielt sich ausgerechnet Pilen die Finger in die Ohren und flennte wie ein kleines Kind. Dabei war er doch der Einzige, der nicht gesehen hatte, wie sich der Schnee rund um ihren Kopf und die blind starrenden Augen rot verfärbte.
33
2007
Als Karlberg bei der Heizungs- und Sanitärinstallationsfirma ankam, machte Anders Franzén gerade Pause – jedenfalls sah seine entspannte Haltung ganz danach aus. Er saß in einem kleinen Zimmer hinter dem Ausstellungsraum und hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt.
Da er Kopfhörer trug und die Augen geschlossen hatte, war er blind und taub für seine Umwelt, auch für Karlbergs diskretes Klopfen am Türrahmen.
Der Polizist versuchte es mit einem kräftigeren Räuspern, aber nicht einmal das konnte die Geräuschwand durchdringen, hinter die sich der Geschäftsinhaber zurückgezogen hatte. Als er schließlich zwei Schritte auf ihn zu machte, erschreckte er Franzén zu Tode. Der iPod fiel samt Kopfhörer zu Boden, und für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete Karlberg schon, einen Kinnhaken zu kassieren.
»Entschuldigung, ich bin von der Polizei, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich hatte auch angeklopft.«
Er deutete auf den Kopfhörer unter dem Schreibtischstuhl. So laut, wie die Musik noch dröhnte, war es kein Wunder, dass Franzén das Klopfen überhört hatte.
Der Mann kratzte sich überrascht am Kopf. »Normalerweise höre ich es eigentlich, wenn Kunden kommen«, entschuldigte er sich. »Ich hab die Musik vielleicht ein bisschen zu laut gedreht.«
»Ich möchte Ihnen ein paar Fragen zu dem Mann stellen, der sich früher mit Ihnen ein Ladenlokal geteilt hat, Olof Bart.«
Ein Zucken in Franzéns Mundwinkel. »Ein Ladenlokal geteilt? Hat er das so formuliert? Was ist denn mit ihm, hat er Ärger?«
»Das kann man wohl so sagen«, gab Karlberg trocken zurück. »Er ist tot.«
Franzén wurde blass. »Tot? Aber ... Wenn deswegen die Polizei hier aufkreuzt, muss er ja ...«
»Genau, er ist ermordet worden. Deswegen möchte ich Sie auch bitten, uns mit ein paar Informationen weiterzuhelfen. Sie haben mit Bart zusammengearbeitet?«
»Also ...«
Anders Franzén sah Karlberg unschlüssig an. »Ich wüsste nicht, was ich Ihnen für Informationen geben könnte. Wir haben uns das Ladenlokal nicht geteilt. Er hat ein paar Jahre einen kleinen Teil gemietet. Was er dort gemacht hat, kann ich nicht genau sagen, er hat da alles Mögliche repariert. Vor allem landwirtschaftliche Geräte, ab und zu mal ein Auto oder ein Motorrad. Ich nehme an, dass er sich das schwarz bezahlen ließ, aber das ist für Sie jetzt sicher nicht relevant, oder?«
Karlberg schüttelte den Kopf. »Nein, da haben Sie recht. Sie haben sich also keine Meinung über den Mann gebildet, an den Sie damals vermietet haben?«
»Doch«, protestierte Franzén. »Natürlich hatte ich meine Meinung über ihn, aber ich weiß nicht, inwiefern ich dazu verpflichtet wäre, Nachforschungen zu seinen
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