Winternacht
schien den Tränen nahe, und ich konnte es verstehen. Sie hatte das ganze Leben lang darauf gewartet, dass man ihr sagte, wer ihr Vater war, und als Heather starb, schien jede Chance auf ein solches Wissen gestorben.
Lainule sah sie freundlich an. »Du bist meine Nichte«, sagte sie. »Mein Bruder hat dich gezeugt, du bist sein Kind. Doch er wurde im Kampf gegen Myst getötet. Und als meine nächste weibliche Verwandte wirst du, meine Liebe, die nächste Sommerkönigin sein, und Cicely wird die Herrin des Winters.«
Und einfach so hatte sich unsere Welt unwiderruflich verändert.
20. Kapitel
D as Schweigen war ohrenbetäubend. Rhiannon und ich starrten Lainule an, als hätte sie uns soeben erklärt, dass wir von kleinen grünen Marsmännchen abstammten. Ulean flatterte um mich herum.
Ich bin ja so froh, dass du es endlich weißt. Es war so schwer, das alles für mich zu behalten. Du wirst meine Königin sein, wie Lainule es war, als sie mich dir überantwortet hat . Sie tanzte so überschwenglich, dass ich die Luftwirbel spürte.
Rhia stammelte etwas, brachte aber keinen richtigen Satz zustande.
Damit hatte ich keine Probleme. »Ich denke nicht daran, Myst zu werden.«
»Davon habe ich auch nicht gesprochen, Kind. Du bist Cambyra, keine Vampirfee. Du wirst die Königin von Eis und Schnee sein, wie Rhiannon Königin von Schilf und Aue sein wird. Eine echte Winterkönigin hat es nicht mehr gegeben, seit Myst sie vor Urzeiten umgebracht und ihren Platz eingenommen hat.«
»Tabera, die Dunkle Fee.«
»Ja. Dein Vater hat dir offenbar ein wenig Geschichte beigebracht.« Sie schenkte Wrath ein kleines Lächeln. »Myst hat keine Ahnung vom Gleichgewicht, von Geben und Nehmen. Sie muss vernichtet werden, damit die Verhältnisse wieder ausgeglichen sind. Natürlich ist dann auch dein Vertrag mit Lannan hinfällig, obwohl er vielleicht aus Bündnisgründen darauf bestehen wird, aber das können wir akzeptieren.« Nun galt das Lächeln mir. »Du bist im schwindenden Jahr geboren, Cicely, Rhiannon im zunehmenden. Ihr seid zwei Frauen vom gleichen Schlag, geboren am Tag der Wende, Cousinen, die einander spiegeln.«
»Aber … Euer Bruder war mein Vater?«, stammelte Rhia. »Haben unsere Mütter das alles gewusst?«
Wrath schüttelte den Kopf. »Nur wenig. Sie waren von Anfang an ausgewählt. Eurer Familie gehört schon seit langem das Haus der Schleier und das Land, auf dem es steht; ihre Geschichte ist eng mit der des Goldenen Waldes verbunden.«
»Aber was für eine Tiergestalt habe ich? Oder trage ich wie Chatter das Feuer als Elementar in mir?« Sie leckte sich über die Lippen, und die Neugier in ihrer Stimme war mit Furcht durchzogen.
Ich wandte mich ihr zu. »Schlange. Ich habe es geträumt.«
»Du und deine Träume.« Wrath schüttelte leicht den Kopf. »Aber Cicely hat recht. Du bist vom Schlangenvolk. Doch im Augenblick können wir nicht näher darauf eingehen. Du musst erst lernen, mit dieser Gestalt umzugehen, zumal dir die Kälte nicht bekommen würde.«
Er seufzte, dann fuhr er fort. »Wir wählten eure Mütter aus, euch beide auszutragen, als wir hörten, dass Mysts Volk sich wieder erhob. Bevor sie auch nur einen einzigen Schachzug tun konnte, mussten wir dafür sorgen, dass es eine Sommer- und eine Winterkönigin geben würde, sollte das Schlimmste eintreffen.«
»Aber warum habt ihr Myst denn nicht schon damals aufgehalten? Bevor sie euren Hof vernichtet hat?« Ich schüttelte den Kopf. »Wieso habt ihr das Problem nicht beseitigt, solange es noch ging?«
»Weil wir nicht wussten, wo sie sich verbarg. Geoffrey glaubte, dass sie sich an den Vampiren rächen wollte, aber natürlich war ihr Plan umfassender. Geoffrey war kurzsichtig und arrogant. Und die Prophezeiung des Blutorakels stimmt ja zum Teil: Myst hatte die Absicht, die Herrschaft der Vampire zu beschneiden.«
Ysandra trat einen Schritt vor. »Wir wussten davon, aber der Hof von Schilf und Aue wollte unsere Hilfe nicht. Also haben wir auf eigene Faust in anderen Städten gearbeitet, die Myst heimgesucht hatte. Es hat Schlachten gegeben, von denen niemand erfahren hat – blutige Schlachten mit vielen Verlusten für das Konsortium, aber auch für Myst. Ihr habt keine Ahnung, wie stark und mächtig sie ist und wie sehr sich die Rasse der Vampirfeen in den vergangenen Jahren hat ausbreiten können.«
»Wir haben das Konsortium nicht um Hilfe gebeten, weil wir der Ansicht waren, dass es sich um eine Sache zwischen den Dunklen und den
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