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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Littlewood
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locker, aber Ben war kaum zu bändigen. Sie schloss ihn in die Arme, begrub ihn halb unter sich, während ihr Atem sich zu einer einzigen Wolke vereinigte. Irgendwann flaute der Sturm ab.
    »Pst, pst, alles ist gut.«
    »Nein, nichts ist gut. Wir ziehen ständig um. Daddy würde mich nicht dazu zwingen. Ich hasse dich. Ich hasse dich.«
    »Schon gut. Ich hab’s nicht so gemeint, Ben.« Aber sobald sie das sagte, erkannte Cass, dass sie es doch so meinte: Darnshaw und seine Lebensart und seine Bewohner, die Kirche und die Mühle hatten sie praktisch vom ersten Augenblick an abgestoßen. Alles fühlte sich falsch an. Sie konnte nichts im Detail herausarbeiten, wusste keinen einzelnen Punkt zu benennen, der es falsch machte, aber es lag nicht nur an ihrer Wohnsituation. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie Ben hier aufwachsen, mit dem Schulbus in eine weiterführende Schule fahren und mit einem Mädchen von hier ausgehen würde. Nichts davon stand ihr vor Augen.
    Ben zappelte und strampelte nicht mehr.
    »Darüber können wir später reden«, sagte Cass. »Wir gehen nicht für immer fort, Ben, wir machen einen Ausflug, das ist alles, nur für ein paar Tage.« An den Stein gelehnt ließ sie ihren Rucksack von den Schultern gleiten. Sie zog die Thermosflasche heraus, füllte den Schraubbecher mit Suppe und roch den würzig-süßen Duft von Tomaten, bevor der Wind ihn forttrug. »Hier. Das wärmt dich auf.« Sie hielt Ben den Becher hin.
    Er schlug ihr den Becher aus der Hand, sodass die Suppe eine lange orangerote Spur im Schnee hinterließ.
    »Was ist denn bloß in dich gefahren? Ben, du musst irgendwas essen. Damit du wieder zu Kräften kommst. Hör auf, so garstig zu sein.«
    Er murmelte etwas Unverständliches.
    »Wie bitte?«
    Er wiederholte das Gesagte nur wenig lauter. »Ich gehe nirgends hin.«
    »Wie du willst.« Cass trank etwas Suppe, schraubte die Thermosflasche zu, setzte den Becher auf und verstaute sie wieder. Dann stand sie auf, schwang sich den Rucksack über die Schulter. »Komm jetzt. Wir wollen weiter.«
    »Ich nicht.«
    Cass packte ihn an den Schultern, zog ihn hoch. Sein Körper war schlaff wie der einer Marionette, und er ließ sich auf die Knie sinken.
    »Steh auf, Ben. Wir gehen weiter.«
    »Du kannst gehen.«
    »Wir gehen beide.« Sie zerrte an ihm. »Ben, bitte.« Ihre Beine waren plötzlich kraftlos, und sie sank neben ihm nieder. »Ben, ich schaff’s nicht allein. Hilfst du mir bitte?« Sie strich ihm die Haare zurück und spürte durch ihre Handschuhe hindurch, wie heiß seine Stirn war. Sie runzelte die Stirn, als ihr einfiel, er könnte krank sein. Was war, wenn er ernstlich krank war und sie ihn ohne Rücksicht auf seine Sicherheit übers Moor schleppte?
    Seine Sicherheit. Aber war die nicht der wahre Grund dafür, dass sie sich zu diesem Ausflug entschlossen hatte. Sie erinnerte sich an Sallys fröhliches, oberflächliches Gerede. An Mr. Remicks Lächeln, seine klaren Augen. Sein Blick war vorwurfsvoll. »Scheiße«, murmelte sie halblaut. Ben bewegte sich nicht, ließ nicht einmal erkennen, ob er etwas gehört hatte.
    »Jetzt ist’s nicht mehr weit. Wir müssen nur noch bis zum Hügelrücken hinauf. Dann sind wir wieder auf der Straße und kommen leichter voran. Siehst du?« Cass deutete nach vorn, obwohl sie kaum weiter als bis zu dem letzten Stein sehen konnte. Alles verschwand in dem weißen Nebel.
    »Komm jetzt, Schatz.«
    Ben schüttelte ihre Hand ab, krümmte sich in der Hocke zusammen und legte den Kopf auf die Knie, die er mit beiden Armen umschlang. »Ich will heim.« Seine Stimme klang dumpf. »Ich will heim. Ich will heim.«
    »O Gott, Ben, wir bleiben nur ein paar Tage, bis ich alles wieder auf die Reihe gebracht habe.« Cass hörte sich reden und kniff die Augen zusammen. Ich, dachte sie. Geht’s denn nur um mich? Und meine Bedürfnisse?
    »Ich will heim.«
    »Bald«, sagte Cass. »Bald.« Sie versuchte ihn hochzuziehen, aber er war zu schwer und zog sie mit sich herunter. Seine Jacke war weiß gesprenkelt, und sie merkte, dass es wieder schneite   – die Luft, der Himmel, alles war weiß. Bens Hose war bereits durchnässt, wo er im Schnee gekniet hatte, und jetzt setzten sich Schneeflocken auf seine Kapuze, auf der sie dunkler zerlaufend schmolzen. Cass’ eigene Beine brannten vor Kälte. Ihre Zehen waren taub, die Gefühllosigkeit breitete sich weiter aus, und plötzlich war ihr alles zu viel. Es stimmte: Allein konnte sie’s nicht schaffen.
    »Also gut«,

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