Winters Herz: Roman (German Edition)
sagte sie wieder an den Stein gelehnt. »Na schön, Ben, du hast gewonnen. Wir kehren um.«
Er sagte kein Wort, richtete sich nur auf, als sei er gerade aufgewacht, streckte die Arme aus und räkelte sich. Über sein Gesicht zog ein Lächeln, aber als er Schnee von sich abklopfte, konnte Cass sehen, dass das kalte Leuchten seine Augen nie verlassen hatte.
Kapitel 14
Eigentlich sollte ich froh sein , dachte Cass, als sie auf demselben Weg zurückstapften. Froh darüber, dass Ben Darnshaw als seine Heimat sah, dass es ihm dort schon so gut gefiel, dass er unbedingt bleiben wollte. Das war gut, nicht wahr? Hatte sie sich das nicht gewünscht?
Trotzdem merkte sie, dass ihre Gereiztheit zunahm. Sie kamen jetzt rascher voran, erreichten einen markanten Punkt nach dem anderen: die Mauer am Feldrand; den ihr folgenden Weg; die zertrampelte Stelle im Schnee, wo sie sich wegen der Schokoriegelfolie gestritten hatten; die Öffnung zum Hof der Farm. Selbst das raue Kläffen des Hundes klang wie zuvor, und auch der Mistgestank war wieder da. Aber dass sie bergab leichter vorankamen, war nicht der einzige Grund, nein, Ben ging jetzt aufrecht, schritt kräftig aus, schwang die Arme, wirkte grenzenlos energisch. Er bewegte sich geradezu beschwingt.
Aber das passte nicht zu dem kalten Blick in seinen Augen.
Cass schob die Unterlippe vor. »Warte«, sagte sie, weil ein Teil ihres Ichs das Bedürfnis hatte, seine Begeisterung zu dämpfen. Als er sich ihr zuwandte, war der kalte Blick jedoch verschwunden. Seine Augen waren klar.
»Hör zu, Ben, anscheinend bleiben wir jetzt eine Weile in Darnshaw. Da sollten wir lieber versuchen, etwas Essen zu organisieren, hmmm?«
Ben zuckte die Achseln.
»Ich will mal schauen, ob sie auf der Farm Eier zu verkaufen haben.«
Sie erwartete, dass er wegen dieser Verzögerung meckern würde, aber sein Gesichtsausdruck blieb neutral.
Cass ging um das Farmhaus herum. Vom Eingang aus hatte man einen Blick übers ganze Tal. Weißer Nebel bedeckte das Dorf wie ein Vogel seine Brut – oder seine Beute.
Sie sah durch eines der Fenster. Drinnen waren ein Durcheinander aus alten Möbeln und ein Sessel zu sehen, auf dem ein hingeworfener Kittel lag. Als sie anklopfte, erklang wütendes Stakkatogebell, und sie hörte hölzerne Stuhlbeine über einen Steinboden scharren. Cass wartete eine gefühlte Ewigkeit. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich umzusehen und das Gesicht zu verziehen; als Ben ebenfalls eine Grimasse schnitt, musste sie lachen und spürte, wie ihr leichter ums Herz wurde.
Die Haustür öffnete sich knarrend, und auf der Schwelle erschien eine stämmige alte Frau. Sie trug einen geblümten Rock, hautfarbene Strümpfe und mehrere ausgebleichte Wolljacken übereinander. Ein erregt blaffender Schäferhund versuchte an ihr vorbeizugelangen. Seine Krallen scharrten auf den Steinen.
»Platz, Jesse, Platz.« Das Gesicht der Frau war von tiefen Falten durchzogen. Sie trug ein fest verknotetes Kopftuch. Sie wollte dem Hund mit einem Bein den Weg blockieren, aber sein geschmeidiger Körper zwängte sich dennoch an ihr vorbei, und er streckte den Kopf aus der Tür. Cass spürte Bens Hände auf ihrem Rücken.
Der Hund sprang knurrend an ihr hoch – und schien seinen Sprung dann mitten in der Luft abbrechen zu wollen. Er zappelte mit den Beinen, und sein Knurren wurde zu einem hohen Winseln, das Cass in den Ohren wehtat. Sodann machte er kehrt und flüchtete mit eingezogenem Schwanz ins Haus zurück.
Die Alte starrte dem Hund nach. Dann wandte sie sich Cass zu und hob fragend die Augenbrauen.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Cass, »aber verkaufen Sie vielleicht Eier oder sonst was in dieser Art? Ich dachte …«
»Jack«, rief die Frau nach hinten. »Jack!« Sie musterte Cassmisstrauisch, bevor sie zurücktrat und die Haustür wieder schloss. Cass hörte Stimmengemurmel, dann erschien ein runzliges Männergesicht im Türspalt.
Der Farmer nickte Cass zu, also nickte sie ebenfalls. »Ich wollte fragen, ob Sie Eier verkaufen. Der Laden im Dorf hat geschlossen, und …«
»Wir hab’n nichts«, sagte er. »Bloß für Hiesige.«
»Aber wir sind von hier. Wir sind gerade in die alte Mühle eingezogen, und jetzt sind wir eingeschneit. Wir könnten wirklich ein paar …«
Sie verstummte, als der Alte ihr die Tür vor der Nase zuschlug. Irgendetwas verhakte sich, und er musste sie fest ins Schloss drücken. Dann hörte Cass, wie ein Riegel vorgeschoben
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