Winters Knochen
Ich hatte den Eindruck, die kannten keinen Jessup Dolly, und auch niemanden, auf den die Beschreibung passt.« Er rauchte und sah Ree genau an. »An der ganzen Geschichte war von Anfang an was faul. Dieses Haus und all euer Zeugs, das deckt bei Weitem nicht die Kaution für den Mann. Ist dir das klar?«
»Mir hat niemand was gesagt. Ich hab alles erst hinterher erfahren.«
»Also, er war knapp bei Kasse, aber eines Abends kam ein Kerl mit einem Plastiksack voller Scheine ins Büro spaziert und hat den Rest bezahlt. Als ich ins Gefängnis rüber bin, war dein Dad gar nicht so sicher, ob er überhaupt raus wollte. So hat noch niemand reagiert, aber zur Frühstückszeit war er weg. Es sah ganz so aus, als wollte ihn jemand ganz schnell da raushaben.«
»Er war ein guter Meth-Koch.«
»Das hab ich auch gehört. Vielleicht brauchten sie ihn für eine Lieferung auf freiem Fuß.«
»Hatte dieser Kerl mit dem Geld auch einen Namen?«
»Nein. Den muss er wohl in der anderen Hose vergessen haben.«
»Wie sah er aus?«
Satterfield sah sich auf dem Hof um, schaute am Haus hoch, den Hügel hinauf und antwortete: »Ich erinnere mich nur an den Plastiksack voller Geld, Kind.« Er ließ die Kippe in den Schnee fallen, zertrat sie mit seiner glänzenden Schuhspitze. »Ich schätze, ihr habt euer Haus hier vielleicht noch dreißig Tage.«
In Rees Kopf gab es ein Geräusch, als würde ein Reißverschluss zugemacht, und in allem, was sie sah, machte sich plötzlich ein Verzerrungseffekt bemerkbar. Der Bach vor ihren Augen verlagerte sich nach oben und flatterte wie ein gerissenes Gummiband auf Kopfhöhe hin und her. Die umliegenden Häuser verzogen sich, bis sie knochendünn waren und sich verknoteten. Der Himmel stand senkrecht wie ein blauer Teller, der gerade zum Trocknen aufgestellt worden war. Sie hatte im Inneren das Gefühl, umzufallen, umzufallen oder irgendwie nach unten wegzufließen und zu verschwinden, einfach so nach unten und weg, an einen Ort, wo sie außer Reichweite war.
Sie stürzte sich auf Satterfield, packte die flauschigen Aufschläge seines Fellmantels und zog daran.
»War’s das etwa? Und ich kann nichts dagegen unternehmen?«
Er machte sich los und trat einen Schritt zurück.
»Nein. Nein, ich glaube nicht, dass du was dagegen unternehmen kannst.« Er strich sich ein paar Mal die Haare glatt, dann ging er langsam zur Brücke hinüber, bahnte sich einen Weg durch den Schneematsch. An derBrücke blieb er stehen, starrte in das klare Wasser, das südwärts floss, und drehte sich noch einmal zu ihr um. »Nichts, es sei denn, du kannst beweisen, dass er tot ist. Das würde alles verändern. Tote können ja nicht vor Gericht erscheinen.«
Ree stand da, und ihre Seele wankte, bis Satterfield an seinem Wagen war. Sie drehte sich um und wollte die Verandatreppe hinaufgehen. Ihre Gedanken tobten wild durcheinander, und sie sah Gail mit verschränkten Armen in der offenen Tür stehen. Von drinnen kamen laute Stimmen, die Jungs untersuchten aufgeregt die reiche Beute, knallten Konservendosen in den Schrank, erhoben lautstark Anspruch auf ihre Lieblingsspeisen. Gail machte ein sorgenvolles Gesicht, sodass ihre Sommersprossen nur noch ein einziger Fleck waren und ihre Augen sich zu Schlitzen verengt hatten. »Ich hab mitbekommen, was er gesagt hat, aber tu das nicht. Ich kenne dich, ich weiß, wie du die Dinge angehst, und ich sage dir, lauf nicht wieder dorthin.«
Auf der anderen Bachseite setzte sich der weiße Wagen in Bewegung. Er wendete eilig zwischen den Häusern, um zu verschwinden. Schlamm spritzte vom Weg auf und flog hoch bis auf die Veranden.
Ree fiel eher, als dass sie sich auf die oberste Stufe setzte. Mit gesenktem Kopf sagte sie: »Wie soll es denn sonst gehen?«
REE GING DEN HAWKFALL-HÜGEL hinunter, nur die Sonne deckte ihr den Rücken. Sie stapfte laut die Straße entlang und sah dünne Rauchwolken aus den Kaminen dort unten im Tal steigen. Zweimal drehte sie sich um und schaute heimwärts, doch der uralte Pick-up war bereits außer Sicht. Noch immer säumte Schnee die Straße, aber die Felder verwandelten sich bereits in Schlammäcker mit zerfetzten weißen Rändern. Kühe gingen am Zaun entlang und machten Sauggeräusche, wenn sie jeden Huf einzeln aus dem klebrigen Schlamm zogen. Das Sonnenlicht rieb den Kühen das Fell glänzend, und Ree stand der Schweiß auf der Stirn. Großmutters Mantel war zu dick für dieses Übergangswetter, aber Ree behielt ihn den ganzen Weg über an. Den Hang
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