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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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kann einfach nicht.«
    Ree bewegte langsam den Kopf und sah mit ihrem unverletzten Auge, dass noch andere Leute in der Scheune waren. Gestalten mit Männerhüten drängten sich im offenen Scheunentor, rauchten, schauten stumm herüber. Einer der Männerhüte kam näher. Megan hockte sich hin, tätschelte Rees Gesicht und fragte: »Was sollen wir nur mit dir machen, kleines Mädchen? Hm?«
    »Mich umbringen, nehme ich an.«
    »Auf die Idee sind wir auch schon gekommen. Hast du einen anderen Vorschlag?«
    »Mir helfen. Auf die Idee seid ihr bis jetzt noch nicht gekommen, oder?«
    Das blinde Auge war zugeschwollen und spannte. Reespürte die Schwellung und versuchte, das Lid zu öffnen, doch mit dem Auge konnte sie noch nicht einmal das Licht wahrnehmen. Das Blut, das Ree ausspuckte, kam in schweren Klumpen aus ihrem Mund, die Spuckefäden zogen, welche ihr an Kinn und Wangen kleben blieben. Mit der Zunge konnte sie ihr eigenes zerschundenes Fleisch an der Innenseite ihrer Lippen spüren. Ihr Rock war hochgerutscht, und ihre Beine waren mit blauen Flecken übersät, die sich zusehends hässlicher verfärbten.
    »Ich hab neulich versucht, dir zu helfen«, sagte Megan, »das habe ich nun davon.«
    Am Tor teilte sich die Menschengruppe, und obwohl niemand den Namen aussprach, wusste Ree, dass Thump Milton in die Scheune gekommen war. Ree konnte schemenhaft eine Gestalt erkennen, die auf sie zukam, eine Gestalt mit einer altmodischen Wintermütze auf dem Kopf, mit Ohrenklappen und einer Kappe wie ein Ofenrohr. Megan bemerkte die näher kommende Kappe, stand auf und trat schnell beiseite.
    Thump Milton türmte sich über Ree auf, ein sagenumwobener Mann, das Gesicht ein Monument aus Ozark-Gestein, mit Vorsprüngen und Winkeln und kalten schattigen Stellen, an die nie Sonne drang. Sein Kinnbart war altersgrau, aber seine Bewegungen jugendlich. Er kauerte sich hin, packte Rees Kinn, drehte ihren Kopf, begutachtete den Schaden. Er war größer, als Ree vermutet hatte, mit Händen, die mächtig waren wie eine Sturmflut. Sein Blick drang ohne zu fragen bis in das tiefste Innere vor und nahm sich dort, was ihm gefiel.
    »Wenn du was zu sagen hast, Kind«, meinte er, »dann sag es am besten jetzt.«
    Seine Stimme barg erhobene Hämmer und warf lange Schatten.
    Ree spürte den brennenden Urin, der ihr am Bein trocknete, und eine dickere Masse, die in ihrer Unterhose matschte. Tauben sahen von den Dachbalken aus zu. Es roch nach nassem Leder, verschüttetem Futter und ängstlichen Kälbern. Ree drehte den Kopf beiseite und versuchte, sich in einen Eimer zu erbrechen, verfehlte ihn aber. Als sie zu Thump Milton aufblickte, hatten sich die Frauen und die anderen Hüte vom Tor direkt hinter ihm aufgebaut. Ree erkannte Little Arthur, Spider Milton, Cotton Milton, Buster Leroy und einen der Boshells, Sleepy John.
    Sie sprach leise, hielt den Kopf gesenkt, ihre Worte wurden vom Blut gebremst und humpelten langsam aus ihrem Mund. »Ich habe zwei kleine Brüder, die noch nicht für sich selbst sorgen können«, sagte sie. »Meine Mom ist krank, und das wird … sie auch bleiben. Bald wird das Gesetz kommen, um uns das Haus wegzunehmen und uns rauszuschmeißen … dann müssen wir auf den Feldern leben wie Köter. Wie verdammte Köter. Die einzige Hoffnung, das Haus zu behalten, ist … ich muss beweisen … dass Dad tot ist. Ich muss nicht wissen … wer ihn umgebracht hat. Das brauche ich überhaupt nicht zu erfahren. Wenn Dad was Falsches getan hat, dann hat er dafür bezahlt. Aber ich kann nicht ewig so weitermachen und für alle sorgen … die Jungs und Mom … nicht … nicht ohne das Haus.«
    Ihre Worte stießen auf Schweigen, einen Augenblick lang herrschte völlige Stille, dann erhob sich Thump Milton und verließ die Scheune. Mrs. Thump und zwei Männer folgten ihm. Die anderen versammelten sich wieder am Tor und flüsterten miteinander. Zigaretten wurden angezündet, die Versammelten kicherten über irgendetwas, das Ree nicht verstehen konnte, in ihren Ohren dröhnte es. Megan trat an den Rand der Gruppe, und zwei Mal schien es, als würde sie in Rees Richtung nicken.
    Ree ließ sich auf den Scheunenboden sinken, spürte die jämmerliche Feuchtigkeit ihres eigenen Kots und sah nach oben. Die Tauben im Gebälk waren still. Auktionsmarken aus uralten Tagen waren an die Unterseite des Heubodens genagelt worden, und Ree starrte sie an, konnte aber die Zeichen nicht dazu bringen, lang genug stillzuhalten, um irgendeinen der zum Verkauf

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