Winters Knochen
hinunter und auf der Wiese mit den umgestürzten Mauern.
Der schwindende Schnee ließ die alten Steine einfach inmitten des dürren Wintergestrüpps im Schlamm liegen. Manche Steine lagen übereinander, manche nebeneinander, kümmerliche Eichen wuchsen in den engen Spalten dazwischen. Kühe hatten auf den Wiesen hier geweidet und kahle Pfade ins Gras und um die Steine herum getrampelt. Hier und da blitzten kleine Glasscherben auf und warfen überraschende Farben vom schlammigen Kuhpfad herüber.
Der Kiesweg zu Thump Miltons Haus hinauf war breit genug für zwei Autos. Der Kies gab unter den Füßen nach, sodass sich jeder Schritt wie ein knirschendes Schaufeln anhörte. Bäume säumten den Weg, und viele Vögel sangen in den Ästen, aber nicht dieselben Lieder. Neben dem graubraunen Haus standen zwei Limousinen und zwei Pick-ups. Ein Redbone Coonhound, der auf einer der Ladeflächen lag, erhob sich, als Ree näher kam, und fing an zu bellen.
Die Haustür ging auf, und Mrs. Thump schaute heraus. Sie schloss kurz die Tür und kam dann mit einer dampfenden Tasse in der Hand zu ihr. Die Brüste hingen ihr bis zum Bauch und wogten hin und her, als sie näher kam. Zwei weitere Frauen traten hinter Mrs. Thump auf die Veranda, beide mit ausgeprägten Kinnpartien, die darauf hinwiesen, dass sie wohl enge Verwandte waren. Mrs. Thumps weißes Haar war in große rosafarbene Lockenwickler gedreht und wurde von einem vorwiegend gelben Tuch gehalten.
Ree streckte die Hand nach der dampfenden Tasse aus, lächelte und sagte: »Ich bin nicht wirklich …« Dann stand plötzlich vor ihren Augen die Welt auf dem Kopf, in ihren Ohren klingelte es, und sie wankte, dann blitzte es auf, und noch einmal, und sie wankte über den Schotter. Eine von Mrs. Thumps Lockenwicklern hatte sich gelöst und baumelte federnd von ihrem Kopf herunter, während sie mit ihrer großen Hand ausholte, um Ree noch eine Ohrfeige zu verpassen. Ree schlug mit der Faust nach den Zähnen in dem roten Mund, traf abernicht. Die anderen Frauen kamen in ihren halb hohen Stiefeln näher, während weitere Schläge auf sie niedergingen. Ree spürte, wie ihre Gelenke nachgaben und sie sich irgendwie entleerte und zu Boden sank. Schwarze Flügel flatterten vor ihren Augen, und dann vernahm sie das Gemurmel von Bestien, die von den Frauen losgelassen wurden. Ree versank in Stöhnen und wurde mit Tritten zum Schweigen gebracht.
WÖRTER DRANGEN an ihr Ohr, doch sie verstand nichts. Der Schmerz war dicht und strahlend und durchfuhr ihren Körper in Wellen. In ihrem Bewusstsein war es schwarz gewesen, bis kleine Brocken trüben Lichts vom Rand ins Zentrum ihrer Wahrnehmung vordrangen, doch ihre ersten Gedanken waren wirr und ließen sich nicht fassen. Da waren Schaufeln, Ree hörte Schaufeln, mehrere Schaufeln, die sich um sie herum in den Boden gruben, dann wurde sie hochgehoben und fortgetragen. Sie flog, bis sie krachend auf einem neuen Untergrund landete, der nach Stroh und Futtersäcken roch. Ree schrie auf, als sie auf dem Boden aufkam. Ihre Ohren summten hässlich, die Nase schien geschwollen. Sie schmeckte Blut, spuckte Murmeln ins Stroh. Ihre Zunge fuhr durch den Schlick in ihrem Mund bis zu einer leeren, ringsum geschwollenen Stelle, wo vorher zwei Zähne gewesen waren.
»Die muss doch verrückt sein, hierher zu kommen. Meint ihr nicht auch, dass sie verrückt sein muss?«
Nur ein Auge ließ sich öffnen.
»Ihre Mama ist verrückt, da kann es gut sein, dass sie auch verrückt ist.«
Die Frauen standen über ihr, drohende Türme mit Lippenstift und Kopftüchern. Sie sahen zu, wie Ree das eine Auge aufschlug und sich aufsetzte. Die Rippen schmerztenihr, die Beine, alles. Ihre Zähne lagen dreckig im Stroh, waren ihr mit den Wurzeln aus dem Mund gebrochen worden. Sie streckte die Hand nach ihnen aus, nahm sie beide in die Hand und schloss die Faust. »Ich bin nicht verrückt«, murmelte sie, »ich bin nicht verrückt.« Sie spuckte Blut aus und ließ ihre Zähne in eine Tasche von Großmutters Mantel fallen. Ihre Wörter waren verkrüppelt, flogen ihr aber hart wie ein ersterbender Klageruf aus dem Mund. »Und ich werde auch nicht verrückt werden!«
Mrs. Thump kam näher und baute sich vor ihr auf, die Haare wieder ordentlich unter dem engen Kopftuch zurückgerollt. Ihre Miene war hart und unerschütterlich.
»Ich habe dich gewarnt. Ich habe dich freundlich gewarnt, aber du wolltest nicht hören. Warum hast du nicht auf mich gehört?«
»Ich kann nicht. Ich
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