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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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hören, Nancy«, sagte er gerade. »Sie wissen, daß Sie mich hören können. Ray ist hier.
    Er macht sich große Sorgen um Sie. Sprechen Sie mit ihm, Nancy.«
    Ihre Augen waren geschlossen. Dorothy hatte Ray dabei geholfen, ihr die nassen Sachen abzustreifen. Sie hatten ihr einen flauschigen Morgenrock übergezogen, aber sie sah darin eigentümlich klein und hinfällig aus – einem Kinde nicht unähnlich.
    Ray beugte sich über sie. »Liebling, bitte, du mußt den Kindern helfen. Wir müssen sie doch finden. Sie brauchen dich. Versuch es, Nancy – bitte versuch es.«
    »Ray, das würde ich nicht tun«, warnte Dr. Smathers. Sein durchfurchtes, feinnerviges Gesicht hatte sich in tiefe Falten gelegt. »Sie hat irgendeinen schweren Schock erlitten –
    vielleicht, als sie den Artikel las, vielleicht auch durch etwas anderes. Ihr Bewußtsein versucht, damit fertig zu werden.«
    »Aber wir müssen doch wissen, was es war«, erwiderte Ray hartnäckig. »Vielleicht hat sie sogar gesehen, wie jemand die Kinder weggeholt hat. Nancy, ich weiß. Ich verstehe. Mit der Zeitung, das ist doch gar nicht so schlimm. Wir beide zusammen werden damit schon fertig werden. Aber Schatz, wo sind die Kinder? Du mußt uns helfen, sie zu finden. Glaubst du, daß sie zum See gegangen sind?«
    Nancy erbebte. Ein erstickter Schrei brach irgendwo aus ihrer Kehle. Ihre Lippen formten Wörter: »Sucht sie… sucht sie.«
    »Wir wollen sie suchen. Aber du mußt uns dabei helfen, bitte. Liebling, ich helfe dir jetzt, dich aufzurichten. Du schaffst es. Komm jetzt.«
    Ray beugte sich nieder und stützte sie mit seinen Armen ab.
    Er sah die wundgeriebene Haut auf ihrem Gesicht, die vom Sand brannte. Noch immer klebte ihr feuchter Sand im Haar.
    Warum aber? Wenn nicht…
    »Ich habe ihr eine Spritze gegeben«, sagte der Doktor,
    »damit sie ein bißchen die Angst verliert. Sie ist aber nicht sehr stark und kann sie nicht umwerfen.«
    Sie fühlte sich so schwer und nebelhaft entrückt. Ganz genauso, wie sie sich damals lange gefühlt hatte – von der Nacht an, in der Mutter starb… oder vielleicht sogar schon davor – so wehrlos, so fügsam… so ohne Kraft, etwas zu wollen, oder sich zu rühren oder auch nur zu sprechen. Sie erinnerte sich, daß ihre Augen viele Nächte hindurch wie verriegelt gewesen waren – so schwer, so müde. Carl war mit ihr so geduldig gewesen. Er hatte alles für sie getan. Sie hatte sich immer eingeredet, daß sie stärker werden müsse, daß sie diese fürchterliche Lethargie überwinden müsse, aber sie hatte es nie geschafft.
    Aber das lag so weit zurück. Sie dachte darüber nicht mehr nach – nicht über Carl; nicht über die Kinder; nicht über Rob Legler, den netten Studenten, der sie gern zu haben schien, der sie zum Lachen brachte. Die Kinder waren so lustig gewesen, wenn er da war, so glücklich. Sie hatte geglaubt, er wäre ein wahrer Freund – aber dann saß er auf der Zeugenbank und erklärte: »Sie sagte zu mir, daß die Kinder ersticken würden.
    Ganz genau das hat sie gesagt, vier Tage bevor sie verschwanden.«
    »Nancy. Bitte. Nancy. Warum bist zu zum See gelaufen?«
    Sie hörte den unterdrückten Laut, den sie ausstieß. Der See.
    Waren die Kinder dorthin gegangen? Sie mußte sie suchen gehen.
    Sie fühlte, wie Ray sie aufrichtete, und sank gegen ihn zusammen, zwang sich dann aber, sich langsam gerade hinzusetzen. Es wäre soviel leichter gewesen, sich fallen zu lassen, in Schlaf zu sinken, so wie früher.
    »So ist es richtig. Gut so, Nancy.« Ray blickte den Doktor an. »Glauben Sie, daß ihr eine Tasse Kaffee…?«
    Der Doktor nickte. »Ich bitte Dorothy, Kaffee zu kochen.«
    Kaffee. Sie hatte gerade Kaffee gekocht, als sie das Bild in der Zeitung sah. Nancy schlug die Augen auf. »Ray«, flüsterte sie. »Jetzt werden sie es alle erfahren. Alle werden sie es erfahren. Man kann sich nicht verstecken… man kann sich nicht verstecken.« Aber da war noch etwas. »Die Kinder.« Sie packte seinen Arm. »Ray, such sie – such meine Kleinen.«
    »Ruhig, Liebling. Das ist es ja gerade, wozu wir dich brauchen. Du mußt jetzt sprechen. Über jede Einzelheit.
    Versuch jetzt nur ein paar Minuten lang, dich zurechtzufinden und zu erinnern.«
    Dorothy kam herein. Sie hatte eine Tasse mit dampfendem Kaffee in der Hand. »Ich habe Pulverkaffee genommen. Wie geht es ihr?«

    »Sie kommt gerade zu sich.«
    »Captain Coffin liegt sehr viel daran, sie so bald wie möglich zu vernehmen.«
    »Ray!« In panischem

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