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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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noch Nancys letzte Worte, als er das Zimmer betrat. Mit erfahrenem Blick bemerkte er den starren Ausdruck in Nancys Augen, die verdächtige Ruhe ihrer Hände und ihres Körpers und die Ausdruckslosigkeit ihrer Stimme und ihres Gesichtsausdrucks. Sie war kurz davor, in ihrem Schockzustand zurückzuverfallen. Wenn sie in einiger Zeit auch nur einen Mucks von sich gab, konnten sie von Glück reden.
    Er blickte an ihr vorbei. Seine Augen suchten Bernie Mills, den Polizisten, den er von Amts wegen im Haus gelassen hatte.
    Bernie stand am Eingang zur Küche. Er hatte sich so postiert, daß er bei einem Anruf sofort den Hörer aufnehmen konnte.
    Bernies sandfarbenes Haar war ordentlich auf seinem knochigen Schädel verteilt. Seine vorstehenden Augen, von kurzen, blonden Wimpern umsäumt, bewegten sich waagrecht hin und her. Captain Coffin verstand die Botschaft, die ihm da signalisiert wurde, und blickte wieder zu den drei Personen hinüber, die um den Tisch saßen. Ray erhob sich, stellte sich hinter den Stuhl seiner Frau und legte seine Hände um ihre Schultern.
    Zwanzig Jahre flogen an Jed Coffin vorüber. Er erinnerte sich an jene Nacht damals, als er noch Polizeianwärter in Boston war, und ihn ein Anruf im Präsidium erreichte, daß Delias Eltern verunglückt seien und daß sie wahrscheinlich nicht durchkämen.
    Er war nach Hause gegangen. Sie hatte in Nachthemd und Bademantel in der Küche gesessen, eine Tasse von ihrem geliebten Schnellkakao geschlürft und die Zeitung gelesen. Sie hatte sich zu ihm umgewandt, überrascht, daß er schon so früh nach Hause kam, aber mit lächelndem Gesicht, und noch ehe er ein Wort sagte, hatte er genau das gleiche getan, was Ray Eldredge jetzt tat – er hatte seine Hände auf ihre Schultern gelegt und sie festgehalten.
    Zum Teufel auch, war das nicht genau das, was die Stewardessen beim Abflug in den Maschinen runterleierten? »Im Falle einer Notlandung setzen Sie sich bitte aufrecht hin, stützen Sie sich auf die Armlehnen Ihres Sitzes, stemmen Sie Ihre Füße fest auf den Boden.« Was sie meinten, war: ›Lassen Sie beim Aufprall den Stoß durch sich hindurchgehen.‹
    »Ray, kann ich Sie mal alleine sprechen?« fragte er kurz angebunden.
    Als Nancy anfing zu zittern, lagen Rays Hände immer noch beruhigend auf ihren Schultern. »Haben Sie meine Kinder gefunden?«.fragte sie. Ihre Stimme war beinahe ein Flüstern.
    »Liebling, er würde es uns doch sagen, wenn er die Kinder gefunden hätte. Bleib hier sitzen. Ich bin gleich zurück.« Ray beugte sich hinab, und einen Augenblick lang berührten sich ihre Wangen. Er schien keine Antwort zu erwarten. Er richtete sich auf und führte den Captain durch das angrenzende Foyer in das geräumige Wohnzimmer.
    Unwillkürlich empfand Jed Coffin Bewunderung für den hochgewachsenen jungen Mann, der sich jetzt an den offenen Kamin stellte und ihm dann das Gesicht zuwandte. Sogar in dieser Situation zeigte sich Ray von gelassener Selbstsicherheit. Jed fiel ein, daß sich Ray beim Kampfeinsatz in Vietnam durch hervorragende Führungsqualitäten ausgezeichnet hatte und noch an der Front zum Hauptmann befördert wurde.
    Ray hatte Format, daran bestand kein Zweifel. Alles an ihm hatte Format – wie er sich gab, wie er sprach, wie er sich kleidete und sich bewegte; die festen Konturen seines Kinns und seines Mundes, die kräftige, wohlgeformte Hand, die da leicht auf dem Kaminsims ruhte.
    Jed brauchte einige Zeit, um sich auf seine Aufgaben und die Autorität seines Amtes zu besinnen. Er blickte langsam im Zimmer umher. Die breiten Eichendielen glänzten matt unter den gehäkelten ovalen Vorlegern; zwischen den beiden Fenstern mit den bleigefaßten Scheiben stand ein trockenes Abflußbecken. Die zartgetönten cremefarbenen Wände waren von Gemälden bedeckt. Auf einmal bemerkte er, daß ihm die Szenerie darauf bekannt vorkam. Das große Gemälde über dem Kamin stellte Nancy Eldredges Steingarten dar. Die Szene mit dem Landfriedhof, über dem Klavier, zeigte den alten Kirchhof weiter unten an der Straße hinter der Kirche, die Our Lady of the Cape Church hieß. Das Gemälde in dem Kiefernholzrahmen über der Couch fing die anheimelnde Stimmung des Sesuit-Hafens bei Sonnenuntergang ein, wenn die Segelboote zurückkehrten. In dem Aquarell mit dem windgepeitschten Krannbeermoor war im Hintergrund, in schwachen Konturen, das alte Hunt-Haus – ›Der Ausguck‹ –
    angedeutet.
    Jed hatte gelegentlich beobachtet, daß Nancy Eldredge in der Nähe der

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