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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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gewesen. John hatte zu viele Jahre in einer Branche gearbeitet, in der es darauf ankam, Menschen richtig einzuschätzen, als daß er angespannte Nervosität, dort wo sie ihm begegnete, nicht sofort erkannt hätte. Der Mann war sehr beunruhigt gewesen … er hatte geradezu verzweifelt darauf gewartet, daß sie gingen. Warum?
    Er hatte einen schweren, säuerlichen Schweißgeruch an sich gehabt… Angstgeruch… aber wovor Angst? Und dann das Teleskop. Als John sich darüber beugte, war Parrish sofort herbeigestürzt, um die Richtung, in die es zeigte, zu ändern.
    Nachdem er es ungefähr so eingestellt hatte, wie es zuvor gewesen war, so erinnerte sich John, konnte er deutlich die Polizeifahrzeuge um das Eldredge-Haus erkennen. Solch ein unglaublich starkes Teleskop. Es war direkt auf die Fenster der Stadtwohnungen gerichtet, jeder der hindurchblickte, konnte zum Schlüssellochgucker werden… zum Voyeur.
    War es möglich, daß Courtney Parrish durch sein Teleskop geblickt hatte, als die Kinder hinter ihrem Haus verschwanden
    … daß er vielleicht etwas gesehen hatte? Aber wenn das der Fall gewesen wäre, hätte er doch selbstverständlich die Polizei angerufen.
    Der Wagen war kalt geworden. John drehte den Zündschlüssel herum und wartete darauf, daß der Motor warm lief.
    Dann schaltete er die Heizung ein. Er griff nach einer Zigarre und zündete sie mit dem kleinen goldenen Dunhill-Feuerzeug an, das ihm seine Frau zum Hochzeitstag überreicht hatte, ein sehr kostbares Geschenk, an dem er sehr hing. Er zog an der Zigarre, bis die Spitze aufglühte.
    Er war ein Narr. Ein mißtrauischer Narr. Was machte man da? Die Polizei anrufen und sagen, daß jemand nervös war und daß sie sich mal darum kümmern sollten? Und wenn sie das täten? Courtney Parrish würde wahrscheinlich sagen: »Ich wollte gerade ein Bad nehmen, und ich habe es nicht gern, wenn man mir nur so kurz vorher Bescheid gibt, daß das Haus besichtigt wird.« Völlig einleuchtend. Leute, die allein lebten, neigten dazu, feste Lebensgewohnheiten anzunehmen.
    Allein. Das war das Stichwort. Das war es, was John keine Ruhe ließ. Er war verwundert gewesen, daß er sonst niemanden in dem Apartment angetroffen hatte. Irgend etwas hatte ihm die Gewißheit gegeben, daß Courtney Parrish nicht allein war.
    Es war das Kinderspielzeug in der Badewanne. Das war es.
    Diese unmögliche Gummiente. Und dieser widerliche Geruch von Kinderpuder…
    Ein Verdacht, so absurd, daß man ihn unmöglich in Worte fassen konnte, nahm vor seinem geistigen Auge Gestalt an.
    Er wußte, was er zu tun hatte. Sorgsam nahm er sein goldenes Feuerzeug aus der Tasche und versteckte es im Handschuhfach seines Wagens.
    Er würde ohne Anmeldung zum ›Ausguck‹ zurückfahren.
    Wenn Courtney Parrish die Tür öffnete, würde er um Erlaubnis bitten, nach seinem wertvollen Feuerzeug suchen zu dürfen, das ihm während der Besichtigung irgendwo im Hause heruntergefallen sein mußte. Es war ein einleuchtender Wunsch. Das würde ihm Gelegenheit geben, sich aufmerksam umzusehen und entweder das zu entkräften, was wahrscheinlich nur ein haltloser Verdacht war, oder aber der Polizei etwas mitzuteilen, das mehr als nur eine bloße Vermutung war.

    Nachdem er sich jetzt entschlossen hatte, trat John auf das Gaspedal und steuerte den Wagen nach links auf die Fernstraße 6 A, zurück in Richtung auf das Stadtzentrum von Port Adams und dann die kurvenreiche, hügelige Straße hinauf, die zum
    ›Ausguck‹ führte. Während er durch den gleichmäßig niederprasselnden Graupel fuhr, tauchte vor seinem Auge immer wieder das Bild einer verblaßten, rissigen Gummiente auf.
    21
    Sie wollte sich nicht erinnern… es bereitete ihr nur Qualen, sich wieder zu erinnern. Vor langer, langer Zeit, als sie noch ganz klein war, hatte Nancy einmal die Hand nach oben ausgestreckt und am Griff eines Topfes gezogen, der auf dem Herd stand.
    Sie erinnerte sich immer noch, wie ein großer Guß hellroter Tomatensuppe über sie geschwappt war. Sie hatte wochenlang im Krankenhaus gelegen, und noch immer waren blasse Narben auf ihrer Brust.
    … Carl hatte sie nach diesen Narben gefragt… sie gestreichelt
    … »Armes kleines Mädchen, armes kleines Mädchen…« Er hatte es gern, wenn sie ihm immer wieder von dem Unfall erzählte. »Hat es sehr weh getan?« fragte er dann.
    So war das, wenn man sich erinnerte… Schmerzen… nur Schmerzen… Denk nicht mehr daran… vergiß es… vergiß es…
    Du darfst nicht mehr daran denken

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