Wintersturm
kann ich«, sagte Ray betont ruhig. »Gehen Sie hinein und sagen Sie dem Captain, daß ich sofort mit ihm sprechen muß.«
Dem Sergeant erstarb der Protest auf den Lippen. Er wandte sich an einen Polizisten, der gerade den Korridor herunterkam.
»Sagen Sie dem Captain, daß Ray Eldredge ihn sprechen möchte«, befahl er kurz.
Ray drehte sich zu Jonathan um. Mit einem matten Lächeln sagte er: »Plötzlich erscheint einem das alles wie ganz überspanntes, absurdes Theater.«
»Ist es aber nicht«, erwiderte Jonathan ruhig.
Ray blickte sich kurz in dem Zimmer um und sah erst jetzt, daß in der Nähe der Tür zwei Leute auf einer kleinen Bank saßen. Sie waren wohl ungefähr so alt wie er und Nancy – ein nettes Paar. Ein wenig zerstreut fragte er sich, was die hier wohl zu suchen hätten. Der Mann sah etwas verlegen aus, die Frau entschlossen. Was konnte einen an einem Abend wie heute dazu bringen, das Haus zu verlassen? War es möglich, daß sie Streit gehabt hatten und daß sie ihn beschuldigen wollte? Der Gedanke war ungeheuer komisch. Irgendwo außerhalb dieses Zimmers, außerhalb dieses ganzen unfaßbaren Tages saßen die Leute zu Hause mit ihren Familien; kochten bei Kerzenlicht ihr Abendessen, sagten den Kindern, daß sie vor der Dunkelheit keine Angst zu haben brauchten, liebten sich, hatten Streit miteinander…
Er bemerkte, daß die Frau ihn unverwandt anstarrte. Sie wollte schon aufstehen, aber ihr Mann zog sie wieder herunter.
Ray drehte ihr schnell den Rücken zu. Mitleid war das allerletzte auf dieser Welt, was er jetzt brauchte.
Eilige Schritte näherten sich auf dem Korridor. Captain Coffin stürzte ins Zimmer. »Was ist los, Ray? Haben Sie irgendwas gehört?«
Jonathan antwortete: »Sie haben Rob Legler hier?«
»Ja. Wir vernehmen ihn gerade. Dr. Miles ist bei mir. Legler verlangt einen Rechtsanwalt. Will keine Fragen beantworten.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Deshalb sind wir hier.«
Mit leiser Stimme umriß Jonathan seinen Plan.
Captain Coffin schüttelte den Kopf. »Das klappt nicht. Der Bursche ist kaltblütig. Es gibt für uns keine Möglichkeit, ihn darauf festzulegen, daß er heute morgen am Eldredge-Haus gewesen ist.«
»Wir sollten es aber versuchen. Verstehen Sie nicht, wie wichtig die Zeit für uns ist? Wenn es einen Komplizen gibt, der die Kinder jetzt bei sich hat, ist es möglich, daß dieser Mensch durchdreht. Weiß der Himmel, was der dann macht.«
»Schön… kommen Sie hier durch. Sprechen Sie mit ihm.
Erwarten Sie aber gar nichts.« Mit einer Kopfbewegung zeigte der Captain auf ein Zimmer, das sich auf halbem Wege den Korridor hinab befand. Als Ray und Jonathan ihm gerade folgen wollten, stand die Frau von der Bank auf.
»Captain Coffin.« Sie stockte. »Könnte ich Sie kurz sprechen?«
Der Captain blickte sie abschätzend an. »Ist es wichtig?«
»Nun, vielleicht nicht. Es ist nur so, daß ich dachte, ich hätte keine Ruhe, wenn ich nicht… Es ist etwas, das mein kleiner Sohn…«
Der Captain verlor deutlich das Interesse an ihr.
»Bitte nehmen Sie Platz, gnädige Frau. Ich komme so bald wie möglich zu Ihnen zurück.«
Ellen Keehey sank auf die Bank zurück. Sie sah, wie die drei Männer davongingen. Der Sergeant am Schreibtisch spürte ihre Enttäuschung. »Sind Sie sicher, daß ich Ihnen nicht helfen kann, gnädige Frau?« fragte er.
Aber Ellen hatte kein Zutrauen zu dem Beamten. Als sie und Pat hereingekommen waren, hatten sie zuerst versucht, ihm zu erzählen, daß sie glaubten, ihr kleiner Sohn könnte etwas über den Fall Eldredge wissen. Der Sergeant hatte ein gequältes Gesicht aufgesetzt. »Meine Dame, wissen Sie, wie viele Anrufe wir heute abend haben? Seit die Telefon- und Fernschreibedienste Wind davon bekommen haben, wurde hier ununterbrochen angerufen. Irgendein Knilch aus Tuxon rief an, um uns mitzuteilen, daß er glaube, die Kinder heute morgen von seiner Wohnung aus auf einem Spielplatz auf der anderen Straßenseite gesehen zu haben. Gar keine Möglichkeit, daß sie dahin gekommen sein konnten, nicht mal mit einem Überschallflugzeug. Nehmen Sie also bitte Platz. Der Captain wird mit Ihnen sprechen, sobald er kann.«
Pat sagte: »Ellen, ich glaube, wir sollten nach Hause gehen.
Wir sind hier nur im Wege.«
Ellen schüttelte den Kopf. Sie öffnete ihr Geldtäschchen und nahm den Zettel heraus, den der Fremde Neil gegeben hatte, als er ihn weggeschickt hatte, die Post zu holen. Sie hatte den Zettel zusammengeheftet mit ihren eigenen
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