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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ihren Reizen und denen irgendeiner anderen auserwählten Schönheit schwankten; sie wurde unausweichlich immer wieder abgeklatscht.
    Gordon hatte sie noch etliche Male gesehen – er hatte eine ganze Weile dort oben auf der Treppe gesessen, die Wange in die Hand gestützt, den trüben Blick auf einen imaginären Fleck vor sich auf dem Boden geheftet, sehr bedrückt, wie es aussah, und ziemlich betrunken –, doch Edith hatte jedes Mal rasch in eine andere Richtung geschaut. Das alles schien indessen lange her; jetzt war ihr Geist ganz träge, ihre Sinne dämmerten in einem tranceartigen Schlummer vor sich hin; nur ihre Füße tanzten weiter, und ihre Stimme plapperte immerfort irgendwelches nebulös-romantisches Geschwätz.
    So müde aber, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen wäre, sich zu entrüsten, als Peter Himmel plötzlich dastand und sie mit großer Geste und fröhlich angetütert abzuklatschen versuchte, o nein, so müde war Edith längst noch nicht. Sie schnappte nach Luft und schaute zu ihm hoch.
    »Also, Peter!«
    »Ich hab ’n Klein’ sitzen, Edith.«
    »Du, Peter? – Na, du bist mir ja vielleicht ein Früchtchen! Du benimmst dich ganz schön gemein, findest du nicht? – Immerhin sind wir zusammen hergekommen.«
    Doch als sie sein zwischen sentimentalem Uhublick und albernem, krampfhaftem Grinsen hin- und herspringendes Mienenspiel sah, musste sie unwillkürlich lächeln.
    »Edith, mein Schätzchen«, fing er in ernstem Ton an, »du weißt doch ganz genau, dass ich dich liebe, oder etwa nicht?«
    »Pah! Lippenbekenntnisse!«
    »Ich liebe dich – ich wollte doch bloß einen Kuss von dir«, fügte er traurig hinzu.
    Keine Spur mehr von Verlegenheit, von Scham. Sie war dis allaschönste Mädel auffa ganzn Wölt. So ’ne schön’ Augen abba auch, wie die Sterne ohm am Hümmel. Er wollte »’schuljunk« sagen – ers’ns, weil er gemeint hatte, er könne es sich einfach so erlauben, sie zu küssen; zweitens wegen dem Trinken –, aber dis war doch so ’ne schlümme Schlappe gewesen, weil, er hatte doch gedacht sie wär verrückt nach ihm –
    Moppel Rotschopf kam und klatschte Edith ab; er schaute sie mit strahlendem Lächeln von unten herauf an.
    »Sind Sie mit jemand hier?«, fragte sie ihn.
    Nein. Moppel Rotschopf war ohne Damenbegleitung da.
    »Ach, würden Sie es – würden Sie es als eine sehr große Zumutung empfinden, wenn ich Sie bitten würde, mich – mich nachher heimzubringen?« (Diese übertriebene Schüchternheit war natürlich ein charmanter Trick von Edith, denn ihr war durchaus klar, dass Moppel Rotschopf auf der Stelle in höchstem Entzücken dahinschmelzen würde.)
    »Eine Zumutung? Ach, du liebe Güte, ein Mordsvergnügen wär mir das! Verstehen Sie, ein Mordsvergnügen.«
    »Tausend Dank! Das ist ja schrecklich lieb von Ihnen.«
    Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war halb zwei. Und während sie so vor sich hin sagte: »Halb zwei«, kam ihr plötzlich wie von ungefähr der Gedanke, dass ihr Bruder, der bei einer Zeitung arbeitete, ihr beim Mittagessen erzählt hatte, er verlasse die Redaktion immer erst nach halb zwei in der Nacht.
    Edith drehte sich abrupt zu ihrem Tanzpartner herum.
    »An welcher Straße ist das Delmonico eigentlich?«
    »An welcher Straße? Na, an der Fifth Avenue, natürlich.«
    »Ich meine, welche Querstraße?«
    »Ach so – lassen Sie mich mal überlegen – Forty-fourth Street.«
    Damit bestätigte er, was sie sich schon gedacht hatte. Henrys Redaktion musste gleich hier gegenüber sein, bloß rasch um die Ecke, und plötzlich ging ihr durch den Sinn, dass sie doch schnell mal heimlich rüberflitzen und überraschend in ihrem neuen Abendmantel, so als schimmerndes Wunderwesen, bei ihm hereinschneien könnte, um ihn »ein bisschen aufzumuntern«. Edith hatte eine Schwäche für solche kleinen Abenteuer – solche unkonventionellen kleinen Dreistigkeiten. Die Idee nahm von ihr Besitz und beschäftigte ihre Phantasie – ein kurzer Augenblick des Zögerns, und schon war ihr Entschluss gefasst.
    »Meine Frisur ist komplett in Auflösung begriffen«, sagte sie in vergnügtem Ton zu Moppel Rotschopf; »hätten Sie was dagegen, wenn ich gerade mal verschwinde und sie wieder in Ordnung bringe?«
    »Aber woher denn.«
    »Sie sind ein Schatz.«
    Ein paar Minuten später huschte sie, in ihren scharlachroten Abendmantel gehüllt und mit vor Aufregung glühenden Wangen, eine Hintertreppe hinunter. Sie kam an einem heftig streitenden Paar

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