Winterträume
verschwommenen Hintergrund, vor dem auf einmal ein Muster aus lauter glitzernden Spinnweben entstand. Was eben noch mit sich gehadert hatte, einigte sich plötzlich wieder, nichts mehr, was störte, alles blieb hübsch artig da, wo’s hingehörte; zackig traten die Ärgernisse des Tages an, und als er sie mit einem kurzen Wink entließ, marschierten sie in Reih und Glied hinaus und waren weg. Und kaum dass der Kummer abgezogen war, trat eine strahlende, alles durchdringende Symbolik an seine Stelle. Edith wurde zu einem flatterhaften kleinen Gör, über das man sich nicht ärgern musste, sondern über das man allenfalls lachen konnte. Wie ein Geschöpf aus einem Traum kam sie hereingehuscht in jene Oberflächenwelt, die sich um ihn herum formierte. Und auch er selbst wurde gewissermaßen zu einem Symbol – zum Inbegriff des enthaltsamen Genießers, des glänzenden Traumschauspielers.
Nach und nach legte sich diese Anwandlung von Symbolismus wieder, und während er seinen dritten Highball schlürfte, ergab sich seine Phantasie der Glut, die ihn von innen wärmte, und er glitt in einen Zustand hinüber, der dem Gefühl glich, das man hat, wenn man sich in lauem Wasser auf dem Rücken liegend treiben läßt. Und an diesem Punkt bemerkte er eine mit grünem Fries ausgeschlagene Tür, die etwa fünf Zentimeter weit offen stand, und in dem Spalt ein Augenpaar, das ihn angestrengt beobachtete.
»Hm«, machte Peter seelenruhig.
Die grüne Tür ging zu – und wieder auf – doch diesmal höchstens anderthalb Zentimeter weit.
»Kuckuck«, machte Peter leise.
Die Tür blieb unverändert, und dann vernahm er ein angespanntes, immer wieder von kurzen Pausen unterbrochenes Geflüster.
»Da is einer drin.«
»Und was macht er?«
»Sitzt da und kuckt.«
»Der soll bloß Leine ziehn. Wir brauchen ’ne neue Pulle.«
Peter lauschte, und allmählich drangen ihm die Worte ins Bewusstsein.
›Na, so was‹, dachte er, ›das ist ja höchst bemerkenswert.‹
Er war ganz aufgeregt. Innerlich jubilierte er geradezu. Er meinte, auf ein Geheimnis gestoßen zu sein. Mit gespielt unbekümmerter Pose stand er auf und ging um den Tisch herum, machte dann blitzschnell kehrt und riss die grüne Tür auf, worauf ihm Soldat Rose beinahe in die Arme stürzte.
Peter machte einen Diener.
»Wie ist das werte Befinden?«, fragte er.
Soldat Rose setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, bereit, zu kämpfen, zu flüchten oder sich gütlich zu einigen.
»Wie ist das werte Befinden?«, wiederholte Peter höflich.
»Geht schon.«
»Darf ich Ihnen vielleicht einen Drink anbieten?«
Soldat Rose sah ihn forschend an, argwöhnte womöglich, der andere wolle ihn auf den Arm nehmen.
»Na gut«, sagte er endlich.
Peter wies auf einen Stuhl.
»Möchten Sie sich nicht setzen?«
»Ich hab ’n Freund«, sagte Rose, »da drinne is ’n Freund von mir.« Er zeigte auf die grüne Tür.
»Na, den müssen wir doch unter allen Umständen mit rüberholen.«
Peter ging quer durchs Zimmer, öffnete die Tür und begrüßte den überaus misstrauischen, unsicheren und schuldbewussten Soldaten Key. Man schaffte Stühle herbei, und die drei ließen sich um die Punschbowle herum nieder. Peter machte drei Highballs zurecht und hielt den beiden sein Zigarettenetui hin. Ein wenig schüchtern griffen sie zu.
»Nun denn«, nahm Peter den Faden leichthin wieder auf, »darf ich fragen, wieso es den Herren gefällt, ihre Freizeit in einem Raum zu verbringen, dessen Mobiliar, wenn ich mich nicht täusche, vornehmlich aus Scheuerbürsten besteht? Und nachdem die Menschheit so weit fortgeschritten ist, dass sie Tag für Tag, ausgenommen die Sonntage, siebzehntausend Stühle produziert…« Er machte eine Pause. Rose und Key sahen ihn verständnislos an. »Würden Sie mir wohl verraten«, fuhr Peter fort, »wieso Sie sich da ausgerechnet einen Gegenstand als Sitzgelegenheit erkoren haben, mit dem man üblicherweise Wasser von einem Ort zum anderen zu transportieren pflegt?«
An diesem Punkt trug Rose mit einem Grunzlaut zu der Unterhaltung bei.
»Und zu guter Letzt«, kam Peter zum Ende, »würden Sie mir wohl erzählen, weshalb Sie es in so einem wunderschön mit riesigen Kronleuchtern vollgehängten Gebäude vorziehen, diese abendlichen Stunden unter einer einzelnen anämischen Glühbirne zuzubringen?«
Rose schaute Key an; Key schaute Rose an. Und beide brachen in Gelächter aus; in schallendes Gelächter; sie konnten sich einfach nicht anschauen, ohne
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