Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
College ging’s ja noch, aber jetzt geht irgendwie gar nichts mehr. Bei mir hat’s sozusagen ausgehakt, seit vier Monaten schon, wie die kleinen Häkchen bei ’nem Kleid, und wenn noch ’n paar mehr aufgehn, dann ist es aus. Ich werd so nach und nach verrückt.«
    Er sah ihr starr in die Augen und fing an zu lachen, und da wich sie erschrocken zurück.
    »Was ist denn los?«
    »Na, ich, ich bin los«, wiederholte er. »Ich dreh allmählich durch. Das kommt mir hier alles vor wie ein Traum – dieses ganze Delmonico –«
    Und während er noch redete, erkannte sie auf einmal, wie sehr er sich verändert hatte. Keine Spur mehr von lockerer, fröhlicher Unbeschwertheit – er war von einer großen Lethargie befallen und durch und durch verzagt. Und plötzlich empfand sie Unwillen und gleich danach überraschenderweise sogar so etwas wie Langeweile. Ihr war, als käme seine Stimme aus einer großen Leere zu ihr.
    »Weißt du, Edith«, sagte er, »ich hab mich immer für einen klugen, talentierten Kerl gehalten, für einen Künstler. Heute weiß ich, ich bin eine Null. Ich kann überhaupt nicht zeichnen, Edith. Weiß selber nicht, warum ich dir das sage.«
    Sie nickte zerstreut.
    »Ich kann nicht zeichnen, ich kann gar nichts. Ich bin arm wie ’ne Kirchenmaus.« Er lachte bitter und um einiges zu laut. »Zum Bettler hab ich’s gebracht, verdammt noch mal, ein Blutegel bin ich, der seine Freunde aussaugt. Ein Versager bin ich, völlig verarmt. Ein armer Teufel.«
    Ihr Widerwille wuchs. Diesmal nickte sie bloß noch kaum wahrnehmbar und wartete ungeduldig auf die erstbeste Gelegenheit, sich zu erheben.
    Auf einmal hatte Gordon Tränen in den Augen.
    »Edith«, sagte er und drehte sich, sichtlich um Selbstbeherrschung ringend, zu ihr herum, »ich kann dir gar nicht sagen, wie viel es mir bedeutet, zu wissen, dass es wenigstens noch einen Menschen gibt, dem ich nicht gleichgültig bin.«
    Er wollte ihre Hand streicheln, doch sie zog sie unwillkürlich zurück.
    »Das ist wirklich prima von dir«, fuhr er fort.
    »Na ja«, sagte sie gedehnt und sah ihm in die Augen, »man freut sich doch immer, wenn man einen alten Freund wiedertrifft – aber es tut mir wirklich leid, dich in so einer Verfassung vorzufinden, Gordon.«
    Dann herrschte Schweigen, sie sahen einander an, und die Munterkeit, die für einen kurzen Moment in seinem Blick aufgeflackert war, erstarb nach und nach wieder. Sie stand auf und blickte mit fast völlig ausdrucksloser Miene zu ihm hinab.
    »Wollen wir tanzen?«, schlug sie mit kühler Stimme vor.
    Liebe ist sehr zerbrechlich, dachte sie, aber die Scherben sind vielleicht noch zu gebrauchen – was einem auf der Zunge lag, was man noch hätten sagen wollen. Die neuen Liebesworte und die eingeübten Zärtlichkeiten hebt man sich auf für seinen nächsten Schatz.
    V
     
    Peter Himmel, der die reizende Edith auf diesen Ball begleitet hatte, war es nicht gewohnt, dass man ihm einen Korb gab, aber er hatte dennoch einen bekommen, und nun war er gekränkt, es war ihm peinlich, und er schämte sich. Rund zwei Monate korrespondierte er jetzt schon tagein, tagaus per Eilboten mit Edith Bradin, und da er sehr wohl wusste, dass die einzige Rechtfertigung und auch Erklärung dafür, weshalb man den Eilboten bemüht, in dem Romantikfaktor lag, um den diese Form der Briefzustellung eine Korrespondenz bereicherte, war er sich seiner Sache vollkommen sicher gewesen. Und nun suchte er vergebens nach einem Grund dafür, weshalb sich Edith plötzlich wegen eines simplen Kusses derartig angestellt hatte.
    Und darum ging er, nachdem ihm der Mann mit dem Menjoubärtchen soeben die Tanzpartnerin abgeklatscht hatte, ins Foyer hinaus, im Kopf einen Satz, den er mehrmals vor sich hin sagte und der mit einigen nicht unerheblichen Auslassungen wie folgt lautete: »Also, wenn jemals eine einem Mann erst Hoffnungen gemacht und ihn dann abblitzen lassen hat, dann die – und darum hat die auch nicht den geringsten Grund, sich zu beschweren, wenn ich mich jetzt aus dem Staube mache und mir schön ’n paar hinter die Binde gieß.«
    Und so spazierte er quer durchs Restaurant in ein Hinterzimmer, das er schon früher am Abend ausgekundschaftet hatte und in dem mehrere Schüsseln mit Punschbowle standen, flankiert von zahlreichen Flaschen. Er holte sich einen Stuhl und setzte sich an den Tisch mit den Flaschen.
    Beim zweiten Highball versanken die Langeweile und die Entrüstung, die Eintönigkeit und die Wirrnis der Ereignisse in einem

Weitere Kostenlose Bücher