Winterträume
angenommen.
»Mein Cousin Pete Rogers fühlte sich heute nicht wohl, aber morgen geht er Enten schießen und möchte, dass ich mitkomme.«
»Oh, wie auf regend! Das wollte ich schon immer wahnsinnig gern mal machen, und Vater hat mir oft versprochen, mich mitzunehmen, aber er hat es nie getan.«
»Wir werden ungefähr drei Tage unterwegs sein, und ich dachte mir, dass ich danach noch einmal herkomme und das nächste Wochenende hier ver–« Er unterbrach sich plötzlich und beugte sich vor, um zu lauschen. »Was in aller Welt ist das?«
In dem Zimmer, das sie kürzlich verlassen hatten, ertönte abgehackte Musik – ein stümperhafter Akkord auf der Gitarre, dann ein halbes Dutzend kläglicher Anfänge.
»Das ist Vater!«, rief Yanci.
Und nun drang eine Stimme zu ihnen heraus, die, trunken und nuschelig, die langen Töne melancholisch einzufärben versuchte:
»Sing a song of cities
Ridin’ on a rail
A niggah’s ne’er so happy
As when he’s out-a jail.«
»Wie schrecklich!«, rief Yanci aus. »Er weckt ja die ganze Nachbarschaft!«
Der Gesang brach ab, die Gitarre quengelte wieder, gab dann ein letztes scharfes Zeng! von sich und war still. Auf diese Ruhestörung folgte gleich darauf ein leises, aber ziemlich eindeutiges Schnarchen. Mr. Bowman war, nachdem er seinen musikalischen Neigungen gefrönt hatte, eingeschlafen.
»Lassen Sie uns spazierenfahren«, schlug Yanci gereizt vor. »Hier ist es mir zu hektisch.«
Scott stand eilfertig auf, und sie gingen gemeinsam zum Wagen.
»Wo wollen wir hin?«, überlegte sie.
»Ganz egal.«
»Wir könnten den halben Block bis zur Crest Avenue hochfahren – das ist unser Prachtboulevard – und dann zur Allee unten am Fluss.«
IV
Als sie in die Crest Avenue einbogen, hockte dort auf der anderen Straßenseite, einer dicken weißen, auf den Hinterläufen sitzenden Bulldogge gleich, die neue Kathedrale, gewaltig und unvollendet wie das Imitat einer durch widrige Umstände unvollendet gebliebenen Kathedrale in einer flämischen Kleinstadt. Die Geister von vier mondbeschienenen Aposteln blickten bleich aus Mauernischen zu ihnen herab, in denen noch die weißen, staubigen Abfälle der Bauarbeiter herumlagen. Die Kathedrale eröffnete die Crest Avenue. Danach kam der Sandsteinkoloss, den der Mehlkönig R. R. Comerford sich errichtet hatte, gefolgt von einer halben Meile protziger Steinvillen aus den düsteren neunziger Jahren. Letztere schmückten sich mit monströsen Toren und Wagenauffahrten, auf denen einst die Hufe teurer Pferde widergehallt hatten, und riesenhaften Rundfenstern, die die Obergeschosse in ein Korsett zwängten.
Die Reihe dieser Mausoleen wurde von einem kleinen Park unterbrochen, einem dreieckigen Rasenstück, auf dem Nathan Hale, die Hände mit einem steinernen Strick auf dem Rücken gefesselt, drei Meter hoch aufragte und über ein Steilufer hinweg auf den langsam dahinfließenden Mississippi schaute. Die Crest Avenue führte an diesem Steilufer entlang, war ihm jedoch nicht zugewandt und schien auch nichts von ihm zu wissen, denn alle Häuserfronten zeigten zur Straße. Nach einer halben Meile fing der neuere Teil an, gewagte Versuche mit terrassenförmig angelegten Gärten, wilden Stuckmischungen oder Villen aus Granit, die mittels einer Vielfalt gradueller Verfeinerungen die Marmorkonturen des Petit Trianon nachempfanden. Die Häuser in diesem Abschnitt flogen minutenlang am Roadster vorbei; dann ging es um die Kurve, und der Wagen steuerte geradewegs ins Mondlicht hinein, das wie der Scheinwerfer eines gigantischen Motorrads von weitem auf sie zugerast kam.
Vorbei an den flachen korinthischen Konturen des Christian Science Temples, an einigen dunklen Bausünden aus Holz, an einer unbewohnten Reihe düsterroten Backsteins – ein unglückliches Experiment der späten neunziger Jahre –, dann wieder an neuen Häusern aus leuchtend rotem, weiß abgesetztem Backstein mit schwarzen schmiedeeisernen Zäunen und Hecken, die blühende Gärten begrenzten. Diese zogen vorbei und verschwanden wieder aus dem Blickfeld, nachdem sie ihren Moment der Größe ausgekostet hatten; dann warteten sie im Mondlicht wie vor ihnen schon die Kuppeldach-Holzhäuser der Südstadt und die Backsteinbauten der älteren Crest Avenue, bis sie aus der Mode kommen würden.
Plötzlich wurden die Dächer niedriger, die Grundstücke enger und die Häuser kleiner, bis sie in Bungalows übergingen. Diese beherrschten die letzte Meile der Straße bis zur Flussbiegung,
Weitere Kostenlose Bücher