Winterträume
um zu erkunden, ob wohl die Finsternis der Nacht ein neues Leben aus ihrem Schoß entlassen habe.
Als ihn noch ungefähr hundert Meter vom Maryland Private Hospital for Ladies and Gentlemen trennten, erkannte er auf den Stufen vor dem Portal der Klinik Dr. Keene, den Hausarzt der Familie, der eben die Treppe herabkam und sich im Gehen die Hände rieb, als würde er sie waschen, wie es der ungeschriebene Ehrenkodex seiner Zunft verlangt.
Weit weniger würdevoll, als man es von einem Südstaaten-Gentleman dieser illustren Epoche hätte erwarten dürfen, stürzte Mr. Roger Button, Präsident der Firma Roger Button & Co., Eisenwarengroßhandel, auf ihn zu. »Dr. Keene!«, rief er. »Ah, Dr. Keene!«
Als der Doktor ihn hörte, drehte er sich um und blieb wartend stehen, und während Mr. Button näher kam, trat ein merkwürdiger Ausdruck in seine gestrenge Medizinermiene.
»Wie ist es gegangen?«, stieß Mr. Button keuchend hervor, indem er auf den Doktor zurannte. »Was ist es? Wie geht es ihr? Ein Junge? Wer ist er? Was –«
»So hören Sie doch auf, wirres Zeug zu reden!«, sagte Doktor Keene scharf. Er war sichtlich ungehalten.
»Ist es da, das Kind?«, drängte Mr. Button.
Doktor Keene runzelte die Stirn. »Nun ja, irgendwie schon – mehr oder minder.« Und wieder fasste er Mr. Button mit diesem merkwürdigen Blick ins Auge.
»Ist mit meiner Frau alles in Ordnung?«
»Ja.«
»Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
»Also da hört sich doch alles auf!«, rief Dr. Keene, und nun brach der Unmut geradezu aus ihm heraus. »Gehen Sie gefälligst hinein und schauen Sie selbst. Unerhört!«, blaffte er, und dieses letzte Wort hörte sich beinah wie eine einzige Silbe an. Dann wandte er sich murrend ab. »Meinen Sie etwa«, brummte er, »ein Fall wie dieser ist meinem Ruf als Arzt zuträglich? Noch einmal so eine Geschichte, und ich wäre ruiniert – und jeder andere genauso.«
»Was ist denn nur los?«, fragte Mr. Button entsetzt. »Drillinge?«
»Nein, keine Drillinge!«, erwiderte der Doktor mit schneidender Stimme. »Im Übrigen gehen Sie doch gefälligst hinein und schauen Sie selbst. Und suchen Sie sich auch gleich einen neuen Arzt. Junger Mann, ich habe Ihnen auf die Welt geholfen, und ich bin seit vierzig Jahren der Hausarzt Ihrer Familie, aber jetzt bin ich fertig mit Ihnen! Ich möchte Sie nie mehr wiedersehen, weder Sie noch irgendeinen Ihrer Angehörigen! Gehaben Sie sich wohl!«
Und damit drehte er sich zackig um, stieg ohne ein weiteres Wort in seinen am Straßenrand wartenden Zweispänner und fuhr entschlossen davon.
Wie vor den Kopf geschlagen, am ganzen Leibe zitternd, stand Mr. Button an der Bordsteinkante. Was mochte das bloß für ein grauenvolles Missgeschick sein, das sich da ereignet hatte? Sein Verlangen, das Maryland Private Hospital for Ladies and Gentlemen zu betreten, war mit einem Mal wie weggeblasen – nur mit äußerster Anstrengung bezwang er sich, stieg endlich die Vortreppe hinauf und trat durch die Eingangstür.
Hinter einem Tisch, im trüben Licht des Vestibüls, saß eine Krankenschwester. Mr. Button schluckte seine Scham hinunter und ging auf sie zu.
»Guten Morgen«, sagte sie und blickte freundlich zu ihm auf.
»Guten Morgen. Ich – ich bin Mr. Button.«
Als die junge Frau diese Worte vernahm, breitete sich ein unaussprechliches Entsetzen auf ihrem Gesicht aus. Sie sprang auf, als wollte sie die Flucht ergreifen, und es war nicht zu übersehen, dass sie allergrößte Mühe hatte, sich zu bezähmen.
»Ich möchte gern zu meinem Kind«, sagte Mr. Button.
Die Krankenschwester stieß einen kleinen Schrei aus. »Oh – selbstverständlich!«, rief sie hysterisch. »Die Treppe hinauf. Gleich da oben. Gehen Sie – nach oben!«
Sie deutete in die genannte Richtung, und Mr. Button, der in kalten Schweiß gebadet war, drehte sich zögernd um und machte sich auf den Weg nach oben in den ersten Stock. Dort sprach er eine andere Krankenschwester an, die mit einer Schüssel in der Hand quer durch die Halle auf ihn zukam. »Ich bin Mr. Button«, brachte er mühsam heraus. »Ich möchte zu meinem –«
Boing! Die Schüssel schepperte zu Boden und rollte auf die Treppe zu. Boing! Boing! trat sie Stufe für Stufe ihren Weg nach unten an, ganz so, als wollte auch sie einfallen in das allgemeine Entsetzen, das dieser Herr hier ausgelöst hatte.
»Ich möchte zu meinem Kind!«, rief Mr. Button fast schon kreischend. Er war einem Zusammenbruch nahe.
Boing! Die
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