Winterträume
sie viel intensiver an die Sandwiches dachte, die man ihr zum Tee servieren würde, als an alles, was dabei sonst noch geschehen musste, und während sie langsam die Fifth Avenue zum Plaza hinaufging, verspürte sie eine jähe Schwäche, die sie erst nach mehreren tiefen Atemzügen überwand. Sie fragte sich, wo wohl die Armenküche war. Dort sollten Menschen in ihrer Situation hingehen – aber wo war diese Einrichtung? Wie fand man das heraus? Sie stellte sich vor, es stünde im Telefonbuch unter A, oder vielleicht auch unter N wie New Yorker Armenküche.
Sie erreichte das Plaza. Scott wartete im Gedränge der Lobby auf sie, die Stabilität und Hoffnung in Person.
»Komm schnell!«, rief sie mit einem gequälten Lächeln. »Ich fühle mich elend und brauche unbedingt eine kleine Stärkung!«
Sie aß ein Clubsandwich, Schokoladeneis und sechs kleine Biskuits. Sie hätte noch viel mehr verdrücken können, doch das traute sie sich nicht. Nun, da ihr Hunger fürs Erste gestillt war, musste sie sich konzentrieren und sich der lebenswichtigen Frage widmen, die der ihr gegenübersitzende gutaussehende junge Mann verkörperte. Hinter der Ruhe, mit der er sie anschaute, verbarg sich ein Gefühl, dessen Bedeutung sie nicht ausmachen konnte.
Doch die geplanten Worte, die flüchtigen Blicke, subtil, durchdringend und süß, wollten nicht kommen.
»Ach, Scott«, sagte sie mit matter Stimme. »Ich bin es so leid.«
»Was?«, fragte er gelassen.
»Ach – alles.«
Es entstand eine Pause.
»Ich fürchte«, sagte sie unsicher, »ich fürchte, ich werde unsere Verabredung morgen nicht einhalten können.«
Es war keinerlei Verstellung mehr in ihrer Stimme. Ihre Gemütsregung offenbarte sich in jedem zitternden Wort, ohne Absicht oder Kontrolle.
»Ich gehe fort.«
»Fort? Wohin denn?«
Sein Ton verriet ein starkes Interesse, doch ihr Herz stockte, als sie sah, dass das alles war.
»Meine Tante ist zurück. Sie möchte, dass ich mich sofort auf den Weg zu ihr nach Florida mache.«
»Kommt das nicht ziemlich unerwartet?«
»Doch.«
»Wirst du bald wieder zurück sein?«, fragte er nach kurzem Schweigen.
»Ich glaube nicht. Wir werden wohl nach Europa reisen, von – von New Orleans aus.«
»Oh!«
Erneut entstand eine Pause. Sie zog sich in die Länge. Noch ein winziger Moment, und es würde peinlich werden, das wusste sie. Sie hatte verloren – und nun? Trotzdem würde sie das Spiel bis zum Ende weiterspielen.
»Wirst du mich vermissen?«
»Ja.«
Ein Wort. Sie suchte seinen Blick, fragte sich einen Moment lang, ob sie darin mehr als freundliches Interesse sah; dann schlug sie die Augen nieder.
»Mir gefällt es hier – im Plaza«, hörte sie sich sagen.
Sie unterhielten sich über solche und ähnliche Dinge. Hinterher konnte sie sich kaum erinnern, was sie gesagt hatten. Sie unterhielten sich einfach – über den Tee, das Tauwetter, das zu Ende war, und die Kälte, die jetzt draußen einsetzte. Sie war todtraurig und fühlte sich sehr alt. Schließlich stand sie auf.
»Ich muss los«, sagte sie. »Ich bin zum Abendessen verabredet.«
Bis zum Letzten würde sie weitermachen – die Illusion, das war es, was zählte. Dafür zu sorgen, dass ihre stolzen Lügen unversehrt blieben – nur noch einen Augenblick lang. Sie gingen zur Tür.
»Begleite mich zum Taxi«, sagte sie ruhig. »Mir ist nicht nach Laufen zumute.«
Er half ihr hinein. Sie schüttelten einander die Hand.
»Leb wohl, Scott«, sagte sie.
»Leb wohl, Yanci«, antwortete er langsam.
»Du warst schrecklich nett zu mir. Dass die zwei Wochen hier so schön für mich waren, habe ich auch dir zu verdanken, und das werde ich dir nie vergessen.«
»Es war mir eine Freude. Soll ich dem Fahrer das Ritz nennen?«
»Nein. Sag ihm nur, er soll auf die Fifth fahren. Ich klopfe dann an die Scheibe, wenn er anhalten soll.«
Auf die Fifth! Vielleicht würde er denken, sie esse an der Fifth zu Abend. Was für ein angemessener Abschluss das wäre! Sie fragte sich, ob er wohl beeindruckt war. Sie konnte sein Gesicht nicht gut sehen, weil die Luft vom Schnee verdunkelt und ihr Blick von Tränen verschleiert war.
»Leb wohl«, sagte er schlicht.
Er schien zu begreifen, dass sie alle Vortäuschung von Abschiedsschmerz seinerseits sofort durchschauen würde. Sie wusste, dass er sie nicht wollte.
Die Tür schlug zu, der Wagen fuhr an und schlitterte auf die verschneite Straße hinaus.
Yanci lehnte sich tief betrübt in ihrer Ecke zurück. Sosehr sie es auch
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