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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Schüssel war im Erdgeschoss angekommen. Unterdessen hatte sich die Krankenschwester wieder gefangen und sah Mr. Button mit abgrundtiefer Verachtung an.
    » Schon gut, Mr. Button«, willigte sie mit gedämpfter Stimme ein. »Sehr wohl! Aber Sie haben ja keine Ahnung, in was für einen Zustand uns das hier heute Morgen alle miteinander versetzt hat! Einfach unerhört, so etwas! Der Ruf der Klinik wird nach dieser Geschichte ein für alle Mal –«
    »Beeilen Sie sich!«, rief er heiser. »Ich halt das nicht mehr aus!«
    »Nun denn – kommen Sie, Mr. Button, hier entlang.«
    Er trabte hinter ihr her. Sie führte ihn durch einen langen Flur, an dessen Ende sich ein Saal befand, aus dem ein vielstimmiges Gebrüll drang – eine Art Schreizimmer. Sie traten ein. Ringsherum an den Wänden stand ein halbes Dutzend weißemaillierter Kinderbettchen auf Rollen, und an den Kopfenden hing jeweils ein Namensschild.
    »Also«, keuchte Mr. Button, »welches davon ist meines?«
    »Das da!«, sagte die Krankenschwester.
    Mr. Buttons Blick folgte ihrem Zeigefinger, und da sah er es. Eingewickelt in eine bauschige weiße Decke und halbwegs hineingestopft in eines der Bettchen, hockte dort ein alter Mann von augenscheinlich etwa siebzig Jahren. Er hatte schütteres, nahezu weißes Haar, und von seinem Kinn hing ein langer, rauchgrauer Bart, der in dem durchs Fenster hereinkommenden Luftzug irrwitzig hin und her wehte. Mit einem ratlosen, fragenden Blick in den trüben, verwaschenen Augen schaute er hinauf zu Mr. Button.
    »Ja, bin ich denn verrückt?«, polterte Mr. Button, dessen Entsetzen nunmehr in Wut umschlug. »Soll das irgend so ein abscheulicher Krankenhausscherz sein oder wie?«
    »Wir finden das durchaus nicht lustig«, erwiderte die Schwester streng. »Und ob Sie verrückt sind oder nicht, das entzieht sich meiner Kenntnis – jedenfalls ist dies da ohne jeden Zweifel Ihr Kind.«
    Schlagartig verdoppelte sich die Zahl der kalten Schweißperlen auf Mr. Buttons Stirn. Er kniff die Augen zu, machte sie wieder auf, schaute noch einmal hin. Er hatte sich nicht getäuscht: Vor ihm lag ein Mann von siebzig Jahren – ein Baby von siebzig Jahren –, ein Baby mit Beinen, die über die Bettkante des Kinderbettchens baumelten.
    Der Alte ließ den Blick ein paar Sekunden lang in aller Ruhe zwischen den beiden hin und her schweifen und fing dann unvermittelt mit greiser, brüchiger Stimme an zu sprechen: »Bist du mein Vater?«, wollte er wissen.
    Mr. Button und die Krankenschwester zuckten erschrocken zusammen.
    »Falls du es nämlich bist«, fuhr der Alte quengelnd fort, »dann wäre es mir lieb, du würdest mich von hier fortbringen – oder wenigstens dafür sorgen, dass man mir einen bequemen Schaukelstuhl hier hereinstellt.«
    »Um Gottes willen, woher kommen Sie? Wer sind Sie?«, platzte Mr. Button mit verzweifelter Stimme heraus.
    »Wer ich bin, kann ich dir nicht so genau sagen«, antwortete die weinerliche Quengelstimme, »weil ich doch erst vor ein paar Stunden geboren bin – mein Nachname ist jedenfalls Button, so viel steht fest.«
    »Sie lügen! Sie sind ein Schwindler!«
    Der Alte wandte sich verdrossen an die Schwester. »Schöne Begrüßung für ein Neugeborenes«, klagte er. »Nun sagen Sie ihm doch gefälligst, dass er sich irrt.«
    »Sie irren sich, Mr. Button«, sagte die Schwester streng. »Dies da ist Ihr Kind, damit werden Sie sich abzufinden haben. Wir müssen Sie leider bitten, ihn so schnell wie möglich mit nach Hause zu nehmen – irgendwann im Laufe des heutigen Tages.«
    »Nach Hause?«, wiederholte Mr. Button ungläubig.
    »Ja, hierbehalten können wir ihn nicht. Das ist wirklich ganz ausgeschlossen, verstehen Sie?«
    »Na, da bin ich aber froh«, greinte der Alte. »Nettes Plätzchen hier für einen Junior, der einfach bloß seine Ruhe haben will. Kein Auge hab ich zugemacht bei all diesem Geschrei und Gebrüll hier. Und als ich was zu essen verlangt hab« – vor lauter Empörung wurde seine Stimme immer schriller –, »da haben sie mir ein Fläschchen mit Milch gebracht!«
    Mr. Button ließ sich neben seinem Sohn auf einen Stuhl fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Gütiger Himmel!«, murmelte er, schier außer sich vor Grauen. »Was nur die Leute sagen werden! Was soll ich denn bloß tun?«
    »Sie müssen ihn mit nach Hause nehmen«, beharrte die Schwester, »und zwar auf der Stelle!«
    Da erstand vor den Augen des geplagten Mannes mit fürchterlicher Deutlichkeit ein höchst

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