Winterträume
der Straße das Landhaus der Shevlins vor ihnen auf, und gleich darauf erhob sich ein Geräusch, einem Seufzen nicht unähnlich, das beharrlich immer näher kam – vielleicht das leise Wehklagen von Geigen oder vielleicht auch das Rascheln des Weizens, der silbern unterm Schein des Mondes glänzte.
Sie hielten hinter einem stattlichen Brougham, dessen Passagiere soeben vor der Haustür ausstiegen. Als Erste ging eine Dame von Bord, dann ein älterer Herr, dann ein junges Fräulein, das schön war wie die Sünde. Benjamin zuckte zusammen; ihm war, als erlebte er einen geradezu chemischen Austauschprozess, als würden alle Elemente seines Körpers zerfallen und sich wieder neu zusammensetzen. Er erstarrte, das Blut schoss ihm in die Wangen und in die Stirn, es hämmerte unaufhörlich in seinen Ohren. Er war zum ersten Mal verliebt.
Das Mädchen war schlank und zart, mit Haaren, die im Mondlicht aschfarben wirkten, im Schein der zischenden Gaslampen auf der Veranda aber wie Honig glänzten. Um die Schultern trug sie eine spanische Mantilla in weichem Hellgelb mit schwarzen Schmetterlingen darauf, und unterm Saum ihres Turnürenkleides schauten wie zwei glitzernde Knöpfe die Füße hervor.
Roger Button beugte sich zu seinem Sohn hinüber. »Die junge Dame da«, sagte er, »das ist Hildegarde Moncrief, die Tochter von General Moncrief.«
Benjamin nickte kühl. »Hübsches kleines Ding«, sagte er gleichgültig. Doch sobald der schwarze Page den Wagen weggebracht hatte, fügte er hinzu: »Vielleicht könntest du mich mit ihr bekannt machen, Dad.«
Sie traten an eine Gruppe heran, deren Mittelpunkt Miss Moncrief war. Sie war nach guter alter Manier erzogen und machte einen tiefen Knicks vor Benjamin. Ja, er dürfe einen Tanz haben. Er bedankte sich und ging oder, besser gesagt, stolperte weiter.
Immer länger schien die Wartezeit sich hinzuziehen, bis er endlich an der Reihe war. Er stand dicht an der Wand und beobachtete schweigend, mit unergründlicher Miene und mörderischem Blick, wie die jungen Herren von Baltimore mit vor leidenschaftlicher Bewunderung leuchtenden Gesichtern um Hildegarde Moncrief herumwirbelten. Wie abscheulich waren sie in Benjamins Augen, wie unerträglich rosig! Beim Anblick ihrer gekräuselten braunen Backenbärte wurde ihm regelrecht übel.
Doch als die Reihe dann an ihm war und er mit ihr zu den Klängen des neusten Walzers von Paris über die schwankenden Planken schwebte, da schmolzen seine Eifersuchtsgefühle und die Beklommenheit dahin und fielen von ihm ab wie Schnee. Geblendet vor Entzücken, spürte er, dass sein Leben gerade erst begann.
»Sie und Ihr Bruder sind doch gleichzeitig mit uns angekommen, nicht wahr?«, fragte Hildegarde und blickte zu ihm hoch mit ihren Augen, die aussahen, als wären sie aus hellblauer Emaille.
Benjamin zögerte. Sie hielt ihn und seinen Vater also für Brüder, sollte er sie da nicht lieber aufklären? Doch dann musste er an das denken, was ihm in Yale widerfahren war, und er beschloss, es nicht zu tun. Zumal es unschicklich gewesen wäre, einer Dame zu widersprechen, und nachgerade ein Verbrechen, diesen erlesenen Moment mit der grotesken Geschichte seiner Geburt zu verderben. Vielleicht später einmal. Und so nickte er, lächelte, lauschte und war selig.
»Ich mag Männer Ihres Alters«, gestand ihm Hildegarde. »Die jungen Burschen sind ja so furchtbar dumm. Die erzählen immer bloß, wie viel Champagner sie auf dem College trinken und wie viel Geld sie beim Kartenspiel verlieren. Aber ein Mann in Ihrem Alter, der versteht was von Frauen.«
Es fehlte nicht viel, und Benjamin hätte ihr einen Heiratsantrag gemacht, doch er gab sich einen Ruck und erstickte den Impuls. »Erst in Ihrem Alter hat der Mann wahrhaft Sinn für Romantik«, fuhr sie fort, »mit fünfzig. Fünfundzwanzig ist zu weltgewandt; dreißig neigt zu Blässe durch Überarbeitung; vierzig ist das Alter der langen Geschichten, die eine ganze Zigarrenlänge brauchen, bis sie fertig erzählt sind; und sechzig – oje, sechzig ist zu nah an siebzig; aber fünfzig, das sind die reifen Jahre. Ich liebe fünfzig.«
Und da erschien auch Benjamin nun fünfzig als ein fabelhaftes Alter. Er konnte es kaum erwarten, fünfzig zu sein.
»Ich habe immer schon gesagt«, sprach Hildegarde weiter, »ich heirate lieber einen Mann von fünfzig und lasse mich von ihm umsorgen, als einen Mann von dreißig, den ich umsorgen muss.«
Für Benjamin verschwamm der Rest des Abends in honigfarbenem
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