Winterträume
dort gewesen sind – die Namen der teuren Schulen und Colleges sehr wenig. Die Einwohner sind der Welt schon so lange entrückt, dass sie, obgleich sie so tun, als seien sie in Fragen der Mode, der Umgangsformen und des Literaturgeschmacks durchaus auf dem Laufenden, weitgehend auf Hörensagen angewiesen sind, und ein gesellschaftliches Ereignis, das man in Hades glanzvoll fand, hätte eine Steakkönigin aus Chicago zweifellos als »na ja, ein bisschen provinziell« bezeichnet.
Es war der Abend von John T. Ungers Abreise. Mrs. Unger packte in törichter mütterlicher Sorge Leinenanzüge und elektrische Ventilatoren in die Koffer, und Mr. Unger überreichte seinem Sohn eine prall gefüllte Brieftasche aus Asbest.
»Du weißt, dass du hier immer willkommen bist«, sagte er. »Du kannst sicher sein, dass wir das heimische Feuer in Gang halten werden, mein Sohn.«
»Ich weiß«, antwortete John mit belegter Stimme.
»Vergiss nicht, wer du bist und woher du kommst«, fuhr sein Vater stolz fort, »dann kann dir nichts geschehen. Du bist ein Unger – aus Hades.«
Und so schüttelten der alte und der junge Mann einander die Hand, und als John sich zum Gehen wandte, rannen ihm die Tränen über die Wangen. Zehn Minuten später hatte er die Stadtgrenze erreicht, blieb stehen und sah sich ein letztes Mal um. Das altmodische viktorianische Motto über dem Tor übte zum ersten Mal einen eigenartigen Reiz auf ihn aus. Immer wieder hatte sein Vater versucht, es durch ein zuversichtlicheres, schwungvolleres ersetzen zu lassen, zum Beispiel durch »Hades – Ihre Chance« oder ein schlichtes »Willkommen« über einem aus Glühbirnen bestehenden Bild eines herzhaften Händedrucks. Das alte Motto sei ein bisschen deprimierend, hatte Mr. Unger gesagt, doch nun…
John nahm das alles noch einmal in sich auf und setzte dann mit entschlossener Miene seine Reise fort. Und als er sich abwandte, schienen die Lichter von Hades den Nachthimmel mit einer warmen, leidenschaftlichen Schönheit zu durchdringen.
Die Fahrt von Boston zur St. Midas’ School dauert in einem Rolls-Pierce eine halbe Stunde. Die tatsächliche Entfernung wird sich nie ermitteln lassen, denn außer John T. Unger ist niemals jemand in einem anderen Fahrzeug als einem Rolls-Pierce dort eingetroffen, und vermutlich wird das auch nie wieder vorkommen. St. Midas’ ist die teuerste und exklusivste Jungenschule der Welt.
Johns erste beiden Jahre vergingen recht angenehm. Die Väter seiner Mitschüler waren allesamt Finanzmagnaten, und John verbrachte die Sommerferien als ihr Gast in teuren Urlaubsorten. Die Freunde, die er besuchte, mochte er sehr, und er wunderte sich in seiner jungenhaften Art oft darüber, dass ihre Väter allesamt aus demselben Holz geschnitzt zu sein schienen. Wenn er sagte, woher er stammte, fragten sie jovial: »Ganz schön heiß da unten, was?«, und dann zwang sich John zu einem angedeuteten Lächeln und erwiderte: »Das kann man wohl sagen.« Seine Antwort wäre munterer ausgefallen, wenn er nicht immer denselben Witz zu hören bekommen hätte, allenfalls noch die Variante: »Und – finden Sie es heiß genug da unten?«, die er ebenfalls hasste.
In Johns zweitem Schuljahr wurde ein stiller, gutaussehender Junge namens Percy Washington in seine Klasse aufgenommen. Der Neue hatte angenehme Umgangsformen und war selbst für die dortigen Verhältnisse außerordentlich gut gekleidet, doch aus irgendeinem Grund hielt er sich auf Distanz zu den anderen Jungen. Der Einzige, mit dem er sich anfreundete, war John T. Unger, aber auch diesem erzählte er kein Wort über sein Elternhaus oder seine Familie.
Dass er reich war, verstand sich von selbst, doch abgesehen von derlei Rückschlüssen wusste John kaum etwas von seinem Freund, und daher versprach dessen Vorschlag, John solle doch den Sommer auf dem Familienbesitz der Washingtons »im Westen« verbringen, die angenehmste Befriedigung seiner Neugier. Er nahm die Einladung ohne Zögern an.
Als sie im Zug saßen, wurde Percy zum ersten Mal recht mitteilsam. Eines Tages, als sie im Speisewagen zu Mittag aßen und über die charakterlichen Mängel einiger Mitschüler sprachen, machte Percy unvermittelt und in verändertem Ton eine Bemerkung.
»Mein Vater«, sagte er, »ist der bei weitem reichste Mann der Welt.«
»Ach«, sagte John höflich. Ihm fiel keine Antwort auf diese vertrauliche Aussage ein. Er erwog »Das ist schön«, doch das klang hohl, und er hätte beinahe »Wirklich?«
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