Winterträume
einer hohen, breiten Freitreppe aus Marmor, wo die Nachtluft mit dem Duft zahlloser Blumen getränkt war. Zwei große Türen am Kopf der Treppe schwangen auf, und in dem bernsteinfarbenen Licht, das in die Dunkelheit flutete, hob sich die Silhouette einer sehr eleganten Dame mit schwarzem, aufgestecktem Haar ab, die sie mit ausgebreiteten Armen empfing.
»Mutter«, sagte Percy, »das ist mein Freund John Unger aus Hades.«
In Johns Erinnerung war dieser erste Abend ein Taumel aus vielen Farben, aus rasch aufeinanderfolgenden sinnlichen Eindrücken, aus Musik, so sanft wie die Stimme einer Liebenden, und der ausgesuchten Schönheit von Dingen, von Licht und Schatten, von Gesichtern und Bewegungen. Da stand ein weißhaariger Mann, der ein bunt schillerndes Getränk aus einem kleinen Kristallglas mit langem goldenem Stiel trank. Da war eine junge Frau mit einem Blumengesicht, die wie eine Titania gekleidet war und Saphire in ihr Haar geflochten hatte. Es gab einen Raum, dessen Wände aus purem, weichem Gold dem Druck seiner Hand nachgaben, und einen anderen, der der platonischen Vorstellung des vollendeten Gefängnisses entsprach: Boden, Wände und Decke waren dicht an dicht mit Diamanten in jeder Größe und Form besetzt – von großen violetten Lampen in den Ecken beleuchtet, blendeten die Steine das Auge mit einem weißen Glanz, der nur mit der reinen Essenz des Lichtes selbst vergleichbar war und jeden menschlichen Wunsch oder Traum überstieg.
Durch ein Labyrinth solcher Räume schlenderten die beiden jungen Männer. Zuweilen ließ eine unter dem Boden angebrachte Beleuchtung diesen in Mustern aus wild widerstreitenden Farben oder pastellener Zartheit erstrahlen, dann wieder schimmerte er in reinstem Weiß oder zeigte feine, verschlungene Mosaiken, die gewiss aus einer Moschee am adriatischen Meer stammten. Manchmal sah John unter einer Schicht von Kristallen blau oder grün wirbelndes Wasser, in dem sich Fische tummelten und Pflanzen in allen Farben des Regenbogens wucherten. Anderswo schritten sie über Felle aller Farben und Beschaffenheiten oder gingen durch Korridore aus blassem, fugenlosem Elfenbein, so dass es schien, als wären diese aus den gewaltigen Stoßzähnen von Dinosauriern geschnitzt, die lange vor dem Aufstieg des Menschen ausgestorben waren…
Dann ein Übergang, an den er sich später nur verschwommen erinnerte, und sie nahmen zum Abendessen Platz. Jeder Teller bestand aus zwei hauchdünnen Lagen aus Diamant, in die ein filigranes Muster aus Smaragden eingebettet war – zarte, aus grüner Luft geschnittene Scheibchen. Aus fernen Korridoren erklang unaufdringliche Musik, und als John das erste Glas Portwein trank, schien der mit Federpolstern versehene Stuhl, dessen Lehne sich auf das angenehmste an seinen Rücken schmiegte, ihn zu umfangen und zu überwältigen. Benommen versuchte er, eine Frage zu beantworten, doch der Luxus, der ihn umgab, verstärkte die Illusion, er befinde sich in einem Traum – die kostbaren Juwelen, Stoffe, Weine und Metalle verschwammen vor seinen Augen zu einem angenehmen Nebel…
»Ja«, raffte er sich höflich auf zu sagen, »ich finde es dort unten allerdings heiß genug.«
Es gelang ihm noch, ein gespenstisches Lachen hinzuzusetzen, dann schien er ohne jede Regung, ohne jeden Widerstand davonzuschweben, fort von dem gekühlten Dessert, das so rosarot war wie ein Traum… Er schlief ein.
Als er erwachte, wusste er, dass mehrere Stunden vergangen waren. Er befand sich in einem großen, stillen, mit Ebenholz getäfelten Raum, dessen Beleuchtung zu schwach, zu unaufdringlich war, um die Bezeichnung Licht zu verdienen. Sein junger Gastgeber stand neben seinem Lager.
»Du bist beim Abendessen eingeschlafen«, sagte Percy, »und ich beinahe ebenfalls – es ist einfach zu schön, es nach einem Jahr Schule mal wieder bequem zu haben. Diener haben dich entkleidet und gebadet, während du schliefst.«
»Ist das ein Bett oder eine Wolke?«, seufzte John. »Percy, Percy, bevor du gehst, muss ich mich entschuldigen.«
»Wofür?«
»Dafür, dass ich an deinen Worten gezweifelt habe, als du gesagt hast, ihr hättet einen Diamanten, größer als das Ritz-Carlton-Hotel.«
Percy lächelte.
»Ja, ich dachte schon, dass du mir nicht glaubst. Es ist dieser Berg, musst du wissen.«
»Was für ein Berg?«
»Der Berg, auf dem das Château steht. Für einen Berg ist er nicht sonderlich groß, aber bis auf eine fünfzehn Meter dicke Schicht aus Stein und Erde, die ihn
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