Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
unterbrach ihn Kismine und zuckte die Schultern. »Wir können sie ja nicht einsperren wie diese Flieger – dann wären sie ein Vorwurf, dem wir täglich ausgesetzt wären. Und man hat es Jasmine und mir so leicht wie möglich gemacht, denn Vater ließ es immer ein wenig früher erledigen, als wir erwartet hatten. Auf diese Weise hat er uns irgendwelche Abschiedsszenen erspart…«
    »Dann habt ihr sie also umgebracht!«, rief John. »Wie entsetzlich!«
    »Man hat es aber immer sehr schön gemacht. Sie bekamen im Schlaf etwas gespritzt – und ihren Familien wurde gesagt, dass sie in Butte an Scharlach gestorben sind.«
    »Aber ich verstehe nicht, warum ihr immer wieder welche eingeladen habt!«
    »Hab ich ja gar nicht«, widersprach Kismine. »Jasmine hat sie eingeladen. Und alle haben sich sehr gut amüsiert. Gegen Ende ihres Besuchs hat Jasmine ihnen wunderschöne Geschenke gegeben. Ich werde wahrscheinlich auch Gäste haben – ich werde mich schon daran gewöhnen. Man darf sich doch von etwas so Unausweichlichem wie dem Tod nicht davon abhalten lassen, das Leben zu genießen, solange es einem gegeben ist. Stell dir doch mal vor, wie einsam es hier wäre, wenn wir nicht hin und wieder einen Gast hätten. Vater und Mutter haben ein paar ihrer besten Freunde und Freundinnen geopfert, genau wie wir.«
    »Du hast dich also von mir umwerben lassen«, rief John anklagend, »hast so getan, als würdest du meine Gefühle erwidern, hast sogar von Heirat gesprochen – und dabei die ganze Zeit gewusst, dass ich nicht lebend hier herauskommen würde!«
    »Nein«, entgegnete sie heftig. »So war es am Anfang. Du warst hier. Das konnte ich nicht ändern, und deine letzten Tage sollten für uns beide so schön wie möglich sein. Aber dann habe ich mich in dich verliebt, und es… es tut mir ehrlich leid, dass du… dass du weggebracht werden wirst. Obwohl mir das noch immer lieber ist als die Vorstellung, du könntest irgendwann einmal ein anderes Mädchen küssen.«
    »Ach, tatsächlich?«, rief John aufgebracht.
    »Ja, viel lieber. Außerdem habe ich gehört, dass ein Mädchen mehr Spaß mit einem Mann haben kann, von dem es weiß, dass es ihn nie wird heiraten können. Ach, warum hab ich dir das nur erzählt? Jetzt habe ich dir wahrscheinlich alles verdorben, und dabei hatten wir so viel Spaß, als du es noch nicht wusstest. Ich hätte mir doch denken können, dass es dich irgendwie bedrücken würde.«
    »Ja, hättest du das?« Johns Stimme bebte vor Wut. »Ich habe genug gehört. Wenn du wirklich so wenig Stolz und Würde besitzt, dass du eine Beziehung mit einem Burschen anfängst, der, wie du sehr wohl weißt, schon so gut wie tot ist, dann will ich nichts mehr mit dir zu tun haben!«
    »Aber du bist nicht tot!«, widersprach sie entsetzt. »Du bist nicht tot! Ich will nicht, dass du sagst, ich hätte einen Leichnam geküsst!«
    »Ich habe nichts dergleichen gesagt.«
    »Hast du wohl! Du hast gesagt, ich hätte einen Leichnam geküsst!«
    »Hab ich nicht!«
    Sie hatten die Stimmen erhoben, doch eine unvermittelte Unterbrechung ließ sie verstummen. Auf dem Weg näherten sich Schritte, und wenige Augenblicke später wurden die Rosenzweige auseinandergebogen, und da stand Braddock Washington. Die intelligenten Augen in seinem gutaussehenden, leeren Gesicht blickten sie an.
    »Wer hat einen Leichnam geküsst?«, wollte er wissen. Er war offenbar ungehalten.
    »Niemand«, beeilte sich Kismine zu sagen. »Es war nur ein Witz.«
    »Was treibt ihr beiden hier überhaupt?«, fragte Braddock barsch. »Kismine, du solltest… solltest lesen oder mit deiner Schwester Golf spielen. Also lies! Spiel Golf! Wenn ich zurückkomme, will ich dich hier nicht mehr sehen.«
    Er nickte John zu und entfernte sich.
    »Siehst du?«, sagte Kismine verärgert, als er außer Hörweite war. »Du hast alles verdorben. Jetzt können wir uns nie mehr treffen. Er wird es mir nicht mehr erlauben. Er würde dich vergiften lassen, wenn er den Verdacht hätte, dass wir uns lieben.«
    »Wir lieben uns nicht – jetzt nicht mehr!«, rief John erregt. »Er kann also ganz beruhigt sein. Und du brauchst dir keine Hoffnungen zu machen, dass ich noch länger hierbleibe. In sechs Stunden bin ich über die Berge da, und wenn ich mich mit den Zähnen hindurchgraben müsste, und dann geht’s weiter in Richtung Osten.«
    Sie waren aufgestanden, und bei seinen Worten trat Kismine auf ihn zu und hakte sich bei ihm unter.
    »Ich komme mit.«
    »Du musst verrückt sein,

Weitere Kostenlose Bücher