Winterträume
beschauliches Leben in einer Heilanstalt in Westport, Connecticut.
»Aber«, erkundigte John sich neugierig, »wer hat dann all diese wunderbaren Salons und Hallen entworfen, die Zufahrten, die Badezimmer –«
»Tja«, antwortete Percy, »es ist mir ja regelrecht peinlich, es zuzugeben, aber das war einer vom Film. Wir konnten keinen anderen finden, der es gewohnt war, mit unbegrenzten Mitteln zu hantieren – auch wenn er sich die Serviette in den Kragen gesteckt hat und weder lesen noch schreiben konnte.«
Als der August sich dem Ende zuneigte, dachte John mit Bedauern daran, dass er bald wieder zur Schule würde zurückkehren müssen. Er und Kismine hatten beschlossen, im kommenden Juni durchzubrennen.
»Es wäre schöner, hier zu heiraten«, gestand Kismine, »aber Vater würde mir natürlich niemals die Erlaubnis geben, dich zu heiraten. Nein, dann lieber durchbrennen. In Amerika ist es für reiche Menschen in letzter Zeit ganz schrecklich, zu heiraten – immer müssen sie Pressemitteilungen verschicken, in denen steht, dass sie bei der Hochzeit uralte Erbstücke tragen werden, und damit meinen sie dann ein paar Perlen vom Trödelmarkt und Spitzen, die Kaiserin Eugénie einmal getragen hat.«
»Ich weiß«, pflichtete John ihr lebhaft bei. »Als ich bei den Schnlitzer-Murphys zu Gast war, hat ihre älteste Tochter Gwendolyn einen Mann geheiratet, dessen Vater halb West Virginia gehört. Sie schrieb ihren Eltern, wie schwer es sei, mit dem Gehalt eines Bankangestellten zurechtzukommen, und schloss mit den Worten: ›Gott sei Dank habe ich vier fleißige Dienstmädchen – das hilft ein wenig.‹«
»Es ist wirklich absurd«, bemerkte Kismine. »Denk nur an die Millionen und Abermillionen von Menschen – Arbeiter und so –, die mit nur zwei Dienstmädchen auskommen müssen.«
Eines Nachmittags im späten August veränderte eine beiläufige Bemerkung von Kismine die Situation grundlegend und erfüllte John mit blankem Entsetzen. Sie waren in ihrem Lieblingswäldchen, und zwischen Küssen erging John sich in düster-romantischen Gedanken, die ihrer Beziehung, wie er fand, eine gewisse bittere Süße verliehen.
»Manchmal denke ich, wir werden nie heiraten«, sagte er traurig. »Du bist einfach zu reich, du bist unvergleichlich. Ein Mädchen, das so reich ist wie du, kann nicht wie andere Mädchen sein. Ich sollte lieber die Tochter eines Eisenwarengroßhändlers aus Omaha oder Sioux City heiraten und mich mit ihrer halben Million zufriedengeben.«
»Ich kannte mal die Tochter eines Eisenwarengroßhändlers«, sagte Kismine, »und ich glaube nicht, dass du dich mit ihr zufriedengegeben hättest. Sie war eine Freundin meiner Schwester und hat uns mal besucht.«
»Dann hattet ihr also schon öfter Gäste?«, sagte John überrascht.
Kismine schien ihre Worte zu bereuen.
»Ja«, sagte sie rasch, »ein paar.«
»Aber seid ihr… ist dein Vater nicht besorgt, sie könnten draußen davon erzählen?«
»Na ja, irgendwie schon, irgendwie schon«, sagte sie. »Aber lass uns lieber von etwas Angenehmerem sprechen.«
Johns Neugier war geweckt.
»Von etwas Angenehmerem? Aber was ist denn daran unangenehm?«, wollte er wissen. »Waren es denn keine netten Mädchen?«
Zu seiner Verblüffung begann Kismine zu weinen.
»Doch… ja… das ist ja das Unglück. Mit einigen hatte ich… hatte ich mich angefreundet. Und Jasmine auch. Aber sie hat trotzdem immer wieder welche eingeladen. Ich konnte das gar nicht verstehen.«
In Johns Herz regte sich ein dunkler Verdacht.
»Du meinst, sie haben geredet, und dein Vater hat sie… wegbringen lassen?«
»Schlimmer«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Vater wollte kein Risiko eingehen – und Jasmine hat immer wieder welche eingeladen, und sie hatten so viel Spaß miteinander!«
Kismine war von Kummer überwältigt.
John saß mit offenem Mund da, entsetzt über diese Enthüllung. Er spürte seine Nerven flattern, als wären sie ein Schwarm Spatzen, der auf seinem Rückgrat saß.
»Jetzt hab ich’s dir gesagt, obwohl ich es nicht hätte sagen sollen.« Mit einem Mal war sie ganz ruhig und trocknete ihre dunkelblauen Augen.
»Soll das heißen, dein Vater hat sie vor ihrer Abreise umbringen lassen?«
Sie nickte.
»Meistens im August – oder Anfang September. Natürlich wollten wir vorher noch so viel Spaß wie möglich mit ihnen haben.«
»Wie grässlich! Wie… Du liebe Zeit, ich glaube, ich werde verrückt! Hast du wirklich gesagt, dass –«
»Ja«,
Weitere Kostenlose Bücher