Winterträume
mit ihr im Wohnzimmer, ehe er sich verabschiedete.
Als er in den University Club zurückkehrte, wo er zur Miete wohnte, stellte er sich einen Augenblick in die Tür und schaute den Tanzenden zu. Er lehnte sich gegen den Türrahmen, nickte dem einen oder anderen Mann zu – und gähnte.
»Hallo, Liebster.«
Die vertraute Stimme neben ihm schreckte ihn auf. Judy Jones hatte auf der anderen Seite des Raumes einen Mann stehen lassen und war zu ihm gekommen – Judy Jones, eine schlanke, goldgewandete Emaillepuppe; Gold im Band an ihrer Stirn, Gold in zwei Slipperspitzen unter dem Kleidersaum. Das fragile Leuchten ihres Gesichts schien zu erblühen, als sie ihn anlächelte. Eine Brise Wärme und Licht wehte durch den Raum. Seine Hände verkrampften sich in den Taschen seiner Smokingjacke. Er war von jäher Freude erfüllt.
»Seit wann bist du wieder da?«, fragte er beiläufig.
»Komm mit, und ich erzähl’s dir.«
Sie wandte sich um, und er folgte ihr. Sie war fort gewesen – er hätte weinen können über das Wunder ihrer Wiederkehr. Sie war durch verzauberte Straßen gelaufen und hatte Dinge getan, die wie kühne Musik waren. Alles geheimnisvolle Geschehen, alle jungen und belebenden Hoffnungen waren mit ihr verschwunden gewesen und kamen jetzt mit ihr zurück.
In der Tür drehte sie sich um.
»Hast du einen Wagen hier? Falls nicht, können wir meinen nehmen.«
»Ich habe ein Coupé.«
Also hinein, mit einem Geraschel goldenen Stoffs. Er schlug die Tür zu. In wie viele Wagen war sie schon eingestiegen – so – oder so – hatte sich mit dem Rücken ans Leder gelehnt, so – den Ellbogen auf die Tür gestützt – gewartet. Sie wäre längst beschmutzt gewesen, hätte irgendetwas sie beschmutzen können – außer sie selbst –, doch hier verströmte sie ihr innerstes Wesen.
Er schaffte es mit Mühe, den Wagen anzulassen und auf die Straße zurückzusetzen. Dies hatte nichts zu sagen, ermahnte er sich. Sie hatte sich schon oft so benommen, und er hatte sie aus seinem Leben gestrichen wie einen faulen Posten aus seinen Büchern.
Er fuhr langsam in Richtung Innenstadt, tat, als sei er in Gedanken versunken, während er die menschenleeren Straßen des Geschäftsviertels durchquerte, nur ein paar Leute hier und da, wo ein Kino gerade seine Besucher entließ oder teils schwindsüchtige, teils streitlustige Jugendliche vor Billardhallen herumlungerten. Aus den Kneipen, Klöstern gleich mit beschlagenen Scheiben und schmutzigem, gelbem Licht, drang das Geklirr von Gläsern, und manchmal hörte man, wie jemand mit der flachen Hand auf den Tresen schlug.
Sie beobachtete ihn die ganze Zeit, und das Schweigen war peinlich, doch ihm wollte in diesem kritischen Moment kein beiläufiges Wort einfallen, das die Stunde entweiht hätte. Bei der nächsten Gelegenheit wendete er und fuhr im Zickzackkurs zum University Club zurück.
»Hast du mich vermisst?«, fragte sie plötzlich.
»Alle haben dich vermisst.«
Er fragte sich, ob sie von Irene Scheerer wusste. Sie war erst seit einem Tag zurück – war ungefähr so lange fort gewesen, wie seine Verlobung andauerte.
»Was für eine Bemerkung!«, lachte Judy traurig – ohne Traurigkeit. Sie schaute ihn forschend an. Er konzentrierte sich ganz auf das Armaturenbrett.
»Du siehst besser aus als früher«, sagte sie versonnen. »Dexter, du hast die allerunvergesslichsten Augen.«
Er hätte darüber lachen können, doch er tat es nicht. So etwas wurde normalerweise zu Collegestudenten gesagt. Aber es gab ihm einen Stich.
»Ich habe alles so schrecklich satt, Liebster.« Sie nannte jeden Liebster, so dass in dem Kosewort etwas unbedacht und eigenwillig Kameradschaftliches mitschwang.
»Ich wünschte, du würdest mich heiraten.«
Die Unverblümtheit, mit der sie das sagte, verwirrte ihn. Er hätte ihr jetzt erzählen sollen, dass er im Begriff war, ein anderes Mädchen zu heiraten, doch das konnte er nicht. Genauso gut hätte er schwören können, er habe sie nie geliebt.
»Ich glaube, wir würden miteinander auskommen«, fuhr sie im selben Ton fort, »es sei denn, du hättest mich vielleicht vergessen und dich in ein anderes Mädchen verliebt.«
Ihr Selbstvertrauen war ganz offensichtlich enorm. Im Grunde hatte sie gesagt, etwas Derartiges könne sie unmöglich glauben, und wenn es doch wahr sei, habe er lediglich eine kindische Unbesonnenheit begangen – vermutlich, um aufzuschneiden. Sie würde ihm verzeihen, weil es nicht von Bedeutung war, sondern leicht
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