Winterträume
beiseitegewischt werden konnte.
»Natürlich könntest du nie eine andere Frau lieben als mich«, fuhr sie fort. »Ich mag die Art, wie du mich liebst. Ach, Dexter, hast du letztes Jahr vergessen?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Ich auch nicht!«
War sie aufrichtig bewegt – oder ließ sie sich nur von der Woge ihrer eigenen Schauspielkunst davontragen?
»Ich wünschte, so könnte es wieder mit uns sein«, sagte sie, und er zwang sich zu antworten: »Ich glaube, das geht nicht.«
»Anscheinend nicht… Ich habe gehört, du bist ganz wild hinter Irene Scheerer her.«
Sie legte keinerlei Betonung auf den Namen, und doch schämte Dexter sich auf einmal.
»Oh, bitte bring mich nach Hause!«, rief Judy plötzlich. »Ich möchte nicht zu dem idiotischen Ball zurück – mit all diesen Kindern.«
Und als er in die Straße einbog, die zum Villenviertel führte, begann Judy still vor sich hinzuweinen. Er hatte sie noch nie weinen sehen.
Die dunkle Straße wurde heller, die Anwesen der Reichen ragten links und rechts von ihnen auf, und er parkte das Coupé vor dem großen weißen Klotz des Hauses der Familie Mortimer Jones, das verschlafen, majestätisch, in den Glanz des feuchten Mondlichts getränkt dastand. Die Solidität des Hauses erschreckte ihn. Die starken Mauern, der Stahl seiner Träger, seine Breite und Wucht und Pracht dienten nur dazu, den Kontrast zu der jungen Schönheit an seiner Seite zu betonen. Es war robust, um ihre Zartheit hervorzuheben – als wolle es zeigen, was für eine Brise ein Schmetterlingsflügel erzeugen konnte.
Seine Nerven waren in wildem Aufruhr, doch er saß ganz und gar reglos da, voller Angst, sie bei der geringsten Bewegung unweigerlich in seinen Armen wiederzufinden. Zwei Tränen waren ihr über das nasse Gesicht gerollt und zitterten auf ihrer Oberlippe.
»Ich bin schöner als irgendwer sonst«, sagte sie mit brüchiger Stimme, »warum kann ich nicht glücklich sein?« Ihre feuchten Augen zerrten an seiner Standhaftigkeit – ihr Mund bog sich, wunderbar traurig, langsam nach unten: »Ich heirate dich gerne, wenn du mich haben willst, Dexter. Wahrscheinlich denkst du, ich sei es nicht wert, aber ich werde dir all meine Schönheit schenken, Dexter.«
Eine Million Antworten, wütende, stolze, leidenschaftliche, hasserfüllte, zärtliche, rangen miteinander auf seinen Lippen. Dann wurde er von einer wahren Welle des Gefühls überschwemmt, die den Bodensatz aus Klugheit, Konvention, Zweifel und Ehre mit sich forttrug. Es war sein Mädchen, das da sprach, sein Eigen, seine Schöne, sein Stolz.
»Willst du nicht mit hineinkommen?« Er hörte sie scharf die Luft einziehen.
Warten.
»Gut.« Seine Stimme zitterte. »Ich komme mit.«
V
Es war merkwürdig, doch weder, als es vorbei war, noch lange Zeit danach bereute er diese Nacht. Als er zehn Jahre später darauf zurückblickte, schien die Tatsache, dass Judys wieder aufflackernde Leidenschaft für ihn nur einen Monat gewährt hatte, kaum von Belang. Es machte auch nichts, dass er sich, indem er ihr nachgab, letztlich noch tieferen Qualen aussetzte und Irene Scheerer sowie ihren Eltern, die ihm gewogen waren, ernsthafte Schmerzen zufügte. Irenes Kummer war einfach nicht bildhaft genug, um sich seiner Seele einzuprägen.
Dexter war im Grunde hart im Nehmen. Wie die Stadt über sein Verhalten dachte, spielte keine Rolle für ihn, nicht weil er sie ohnehin verlassen wollte, sondern weil ihm alles, was Außenstehende über die Situation denken mochten, oberflächlich schien. Die öffentliche Meinung war ihm vollkommen gleichgültig. Und als er begriff, dass es keinen Sinn hatte, dass er einfach nicht die Kraft besaß, Judy Jones im Innersten zu berühren oder sie zu halten, hegte er auch keinen Groll gegen sie. Er liebte sie, und er würde sie lieben, bis er zum Lieben zu alt wäre – nur haben konnte er sie nicht. Und so kostete er den tiefen Schmerz, den die Liebe den Starken vorbehält, so wie er eine Weile das tiefe Glück gekostet hatte.
Selbst die gänzlich unaufrichtigen Gründe, aus denen Judy die Verbindung beendete: sie wolle ihn Irene nicht ›wegnehmen‹ – Judy, die nichts anderes gewollt hatte als das –, weckten keinen Abscheu in ihm. Er war über allen Abscheu und alle Belustigung hinaus.
Im Februar zog er an die Ostküste, um seine Wäschereien zu verkaufen und sich in New York niederzulassen – doch im März kam der Krieg nach Amerika und änderte seine Pläne. Er kehrte in den Mittleren Westen
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