Winterträume
zurück, übertrug seinem Partner die Leitung der Geschäfte und meldete sich Ende April zur Offiziersausbildung. Er gehörte zu jenen Tausenden junger Männer, die den Krieg mit einem gewissen Grad der Erleichterung willkommen hießen, weil er sie aus einem Gespinst verworrener Gefühle befreite.
VI
Dies ist nicht seine Lebensgeschichte, vergessen wir das nicht, auch wenn sich hier und da etwas in die Erzählung hineinschleicht, das mit den Träumen seiner jungen Jahre nichts zu tun hat. Wir sind mit ihnen und ihm jetzt beinahe durch. Es gibt nur noch einen Vorfall, von dem hier zu berichten ist, und der trug sich sieben Jahre später zu.
Der Schauplatz war New York, wo er es inzwischen weit gebracht hatte – so weit, dass keine Hürde ihm zu hoch erschien. Er war zweiunddreißig, und abgesehen von einem kurzen Abstecher unmittelbar nach dem Krieg war er sieben Jahre nicht mehr im Mittleren Westen gewesen. Ein Mann namens Devlin aus Detroit kam zu ihm ins Büro, um etwas Geschäftliches mit ihm zu besprechen, und bei der Gelegenheit ereignete sich besagter Vorfall und blendete, wenn man so will, diese spezielle Seite seines Lebens endgültig aus.
»Sie sind also aus dem Mittelwesten«, sagte der Mann, Devlin, mit unbekümmerter Neugier. »Das ist komisch – ich dachte, Männer wie Sie müssten an der Wall Street geboren und aufgewachsen sein. Wissen Sie – die Frau eines meiner besten Freunde in Detroit stammt aus Ihrer Heimatstadt. Ich war Brautführerauf ihrer Hochzeit.«
Dexter saß da, ohne eine Ahnung, was nun kam.
»Judy Simms«, sagte Devlin beiläufig. »Judy Jones hieß sie früher.«
»Ja, ich kannte sie.« Dumpfer Unmut breitete sich in ihm aus. Er hatte natürlich gehört, dass sie geheiratet hatte – vielleicht hatte er absichtlich nicht weiter hingehört.
»Ausgesprochen nettes Mädchen«, sinnierte Devlin nichtssagend. »Tut mir irgendwie leid.«
»Wieso das?« Etwas in Dexter wurde sofort aufmerksam, hellwach.
»Ach, Lud Simms scheint vor die Hunde zu gehen. Ich will nicht sagen, dass er sie misshandelt, aber er trinkt und treibt sich ständig herum…«
»Treibt sie sich denn nicht auch herum?«
»Nein. Sie bleibt zu Hause bei den Kindern.«
»Oh.«
»Sie ist ein bisschen zu alt für ihn«, sagte Devlin.
»Zu alt!«, rief Dexter. »Du meine Güte, sie ist doch erst siebenundzwanzig.«
Er war plötzlich von der verrückten Idee besessen, sofort auf die Straße zu laufen und einen Zug nach Detroit zu nehmen. Ruckartig stand er auf.
»Ich nehme an, Sie haben viel zu tun«, entschuldigte Devlin sich rasch. »Ich wusste ja nicht…«
»Nein, ich habe nicht viel zu tun«, sagte Dexter und bezwang seine Stimme. »Ich habe überhaupt nicht viel zu tun. Überhaupt nicht viel. Haben Sie gerade gesagt, sie sei – siebenundzwanzig? Ach nein, ich habe das gesagt.«
»Richtig«, antwortete Devlin trocken.
»Dann erzählen Sie weiter. Erzählen Sie.«
»Was meinen Sie denn?«
»Von Judy Jones.«
Devlin schaute ihn ratlos an.
»Nun ja, das ist – ich habe Ihnen schon alles erzählt. Er behandelt sie miserabel. Oh, sie werden sich nicht scheiden lassen oder dergleichen. Wenn er sich besonders abscheulich benimmt, verzeiht sie ihm. Ja, ich glaube beinahe, dass sie ihn liebt. Sie war ein hübsches Mädchen, als sie nach Detroit kam.«
Ein hübsches Mädchen! Die Formulierung erschien Dexter lächerlich.
»Ist sie denn kein – hübsches Mädchen mehr?«
»Na ja, sie sieht ganz passabel aus.«
»Hören Sie«, sagte Dexter und setzte sich plötzlich wieder hin. »Ich verstehe das nicht. Erst sagen Sie, sie war ein ›hübsches Mädchen‹, und dann, sie sehe ›ganz passabel‹ aus. Ich weiß nicht, wovon Sie reden – Judy Jones war keineswegs ein hübsches Mädchen. Sie war eine große Schönheit. Ich kannte sie, ich kannte sie gut. Sie war…«
Devlin lachte gutmütig.
»Ich möchte keinen Streit anfangen«, sagte er. »Ich finde, Judy ist ein nettes Mädchen, und ich mag sie. Ich verstehe zwar nicht, wie ein Mann wie Lud Simms sich so rasend in sie verlieben konnte, aber so war es nun einmal.« Dann fügte er hinzu: »Die meisten Frauen haben sie gern.«
Dexter musterte Devlin genau und dachte erregt, dass es irgendeinen Grund geben musste, warum der Mann so redete, einen Mangel an Sensibilität vielleicht oder einen geheimen Groll.
»Viele Frauen verblühen im Handumdrehen. « Devlin schnippte mit den Fingern. »Das müssen Sie doch auch schon beobachtet haben. Vielleicht
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