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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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habe ich ja vergessen, wie hübsch sie auf ihrer Hochzeit war. Ich habe sie seitdem so oft gesehen, wissen Sie. Sie hat nette Augen.«
    Eine Art Dumpfheit kam über Dexter. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Lust, sich richtig zu betrinken. Er merkte, dass er laut über eine Bemerkung von Devlin lachte, wusste jedoch weder, was dieser gesagt, noch, warum er es komisch gefunden hatte. Als Devlin ein paar Minuten später gegangen war, legte Dexter sich aufs Sofa, blickte aus dem Fenster auf die New Yorker Skyline und sah die Sonne in matten, schönen Rosarot- und Goldtönen darin versinken.
    Er hatte geglaubt, er sei endlich unverletzbar geworden, weil es für ihn nichts mehr zu verlieren gab – doch nun wusste er, dass er noch mehr verloren hatte, wusste es so genau, als hätte er Judy Jones geheiratet und ihre Schönheit vor seinen Augen dahinwelken sehen.
    Der Traum war vorbei. Etwas war ihm genommen worden. In einer Art Panik drückte er sich die Handflächen in die Augenhöhlen und versuchte, ein Bild von dem Wasser heraufzubeschwören, das ans Ufer von Sherry Island schwappte, und von der mondbeschienenen Veranda, vom Gingan auf den Golfbahnen, von der trockenen Sonne, der goldenen Farbe des weichen Flaums an ihrem Hals. Und von ihrem Mund, feucht unter seinen Küssen, dem elegischen Blick ihrer traurigen Augen und ihrer Frische, die wie neues, feines Leinen am Morgen war. All diese Dinge existierten nun nirgends mehr auf der Welt! Es hatte sie gegeben und gab sie nicht mehr.
    Zum ersten Mal seit Jahren strömten ihm die Tränen über das Gesicht. Doch er weinte um sich selbst. Für Mund und Augen und Hände, die sich hier- und dorthin bewegten, empfand er nichts mehr. Er wollte etwas empfinden, aber er konnte es nicht. Denn er war fortgegangen, und es gab keinen Weg zurück. Das Tor war verschlossen und die Sonne untergegangen, und es gab keine Schönheit mehr außer der grauen Schönheit des Stahls, die aller Zeit widersteht. Selbst die Trauer, die er hätte tragen können, blieb im Land der Illusion, der Jugend und der Fülle des Lebens zurück, in dem seine Winterträume geblüht hatten.
    »Vor langer Zeit«, sagte er, »vor langer Zeit war etwas in mir, doch jetzt ist es nicht mehr da. Es ist nicht mehr da, es ist einfach nicht mehr da. Ich kann nicht weinen. Ich kann nichts empfinden. Es wird nie mehr wiederkommen.«

Würfel, Schlagringe und Gitarre
     
    I
     
    New Jersey steht, wie Sie wissen, zum Teil unter Wasser und zum Teil unter ständiger Aufsicht der Behörden. Hier und da jedoch liegt ein Flecken grünes Land, gesprenkelt mit altmodischen Landhäusern aus Holz, die große schattige Veranden haben und eine rote Schaukel im Garten. Und auf der größten und schattigsten Veranda gibt es vielleicht sogar noch eine Hängematte aus den Hängemattentagen, die sich sacht im hochviktorianischen Wind regt.
    Wenn Touristen an solchen Sehenswürdigkeiten des letzten Jahrhunderts vorbeikommen, halten sie ihren Wagen an, schauen eine Weile und sagen dann: »Dieses Haus da mag zwar hauptsächlich aus Fluren bestehen und tausend Ratten und nur ein Badezimmer haben, aber es verströmt so eine gewisse Atmosphäre…«
    Der Tourist bleibt nicht lange. Er fährt weiter zu seiner elisabethanischen Villa aus Presspappe oder seinem frühnormannischen Fleischmarkt oder seinem mittelalterlichen italienischen Taubenschlag – denn wir schreiben das zwanzigste Jahrhundert, und viktorianische Häuser sind so unzeitgemäß wie die Werke von Mrs. Humphry Ward. Er kann die Hängematte von der Straße aus nicht sehen – doch manchmal liegt ein Mädchen darin. An diesem Nachmittag lag dort eins. Es schlief und merkte anscheinend nichts von dem ästhetischen Grauen, das es umgab, zum Beispiel der steinernen Diana-Statue, die unter dem Sonnenlicht auf dem Rasen dümmlich grinste.
    Die ganze Szenerie hatte etwas ungeheuer Gelbes an sich – da war zum Beispiel besagtes Sonnenlicht, das gelb war, und die Hängematte hatte einen besonders scheußlichen Gelbton, wie er für Hängematten typisch ist, und das gelbblonde Haar des Mädchens breitete sich darüber wie zum boshaften Vergleich.
    Sie schlief mit geschlossenen Lippen und hinter dem Kopf verschränkten Händen, wie es sich für junge Mädchen zu schlafen geziemt. Ihre Brust hob und senkte sich leicht, nicht heftiger, als die Fransen der Hängematte hin und her schwangen.
    Ihr Name, Amanthis, war so altmodisch wie das Haus, in dem sie wohnte. Leider muss ich sagen, dass

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