Winterträume
ineinander verschränkt. Gordon Sterretts erniedrigender Bittgang zu Philip Dean nimmt schon eine Szene des Romans Die Schönen und Verdammten vorweg, und das berühmte Hemden-Motiv aus dem Großen Gatsby ist hier ebenfalls bereits angelegt. Die eigentliche Heldin der Geschichte ist Edith. Sie bewegt sich mit Anmut und Souveränität zwischen ihren Begleitern. Die Atmosphäre des noblen Ehemaligen-Balls wird kunstvoll konterkariert mit der nächtlichen Szene in der linken Redaktion, die all diesen Luxus abschaffen will, und den betrunkenen Kriegsheimkehrern, die sich in dumpfer Wut gegen die »Linken« wenden und damit natürlich gegen ihre eigenen Interessen handeln. Fitzgerald verwendet hier mehr als je zuvor Elemente filmischen Erzählens. Neben den Hauptgestalten haben auch zahlreiche Nebenfiguren wie Taxifahrer und Kellner ihren genau kalkulierten und dennoch ganz beiläufig wirkenden Auftritt.
Hätte Fitzgerald nur diese Geschichte geschrieben, dürfte er schon als namhafter Autor seiner Zeit gelten. Der Text zeigt weit deutlichere naturalistische Einflüsse als die meisten anderen seiner Werke. Namentlich Frank Norris und Theodore Dreiser dürften ihr Pate gestanden haben; der Ton ist indes reicher und differenzierter als bei diesen Autoren. Man kann sich fragen, in welcher Richtung Fitzgeralds Schreiben sich weiterentwickelt hätte, wenn dieses frühe Meisterstück ein Erfolg geworden wäre. Die Frage ist insofern nicht nur müßig, als Fitzgerald sich in den folgenden Jahren oft darüber beklagte, dass der Markt von ihm nur triviale Stories wolle. Dazu gibt es eine bemerkenswerte Passage in Ernest Hemingways Erinnerungsbuch Paris – ein Fest fürs Leben. Hemingway macht geltend, er habe Fitzgerald 1925 davor gewarnt, mit kommerziellen Geschichten seinen Stil zu ruinieren. Fitzgerald, so Hemingway, habe ihm zur Antwort gegeben, da bestehe gar keine Gefahr; er schreibe die Geschichten zunächst in unverfälschter Form und trivialisiere sie dann erst im Nachhinein gezielt für den jeweiligen Abnehmer. Vielleicht hat er das tatsächlich gesagt. Fitzgerald neigte, wie sein Biograph Matthew J. Bruccoli ausführt, zu solchen Prahlereien, besonders, wenn er betrunken war. Aber in den erhaltenen Manuskripten lässt sich keine einzige Spur einer solchen Bearbeitung nachweisen.
Während Fitzgerald also Mühe gehabt hatte, ›Erster Mai‹ loszuschlagen, rissen sich die kommerziellen Magazine um seine leichteren Geschichten. Die Saturday Evening Post hatte ihm bis dahin 500 Dollar pro Story bezahlt; Metropolitan bot nun 900 Dollar und publizierte tatsächlich vier Stories zu diesem für damalige Verhältnisse horrenden Preis – er entsprach annähernd dem Jahreslohn eines Arbeiters –, unter ihnen ›Jelly-bean‹, ein heitermelancholisches Stück Prosa. Es entstand im Sommer 1920, den die Fitzgeralds in Montgomery und Westport verbrachten. Wie gewöhnlich machte der Autor detaillierte Pläne für die Arbeit der kommenden Monate. Bis zum 16. Oktober wollte er einen ganzen Roman, ein Theaterstück und eine Erzählung schreiben. In Wirklichkeit schrieb er dann nur drei Geschichten, darunter eine unverkäufliche. ›Jelly-bean‹ gehört zu Fitzgeralds leichtgewichtigeren, deshalb aber nicht weniger reizvollen Texten. Sie verklärt einmal mehr die Südstaaten, und auch das Personal ist uns nicht unbekannt: Ein sympathischer Nichtstuer und Gelegenheitsarbeiter trifft auf eine exzentrische Schöne, die in einer trunkenen Nacht ihr ganzes Geld verspielt und Knall auf Fall einen Mann heiratet, aus dem sie sich gar nichts macht.
Auch hier überrascht uns Fitzgerald mit seinem Instinkt für atmosphärische Details und treffende Dialoge, und einmal mehr zeigt er sich als Meister der lakonischen Verkürzung: »Er [Jim] wurde achtzehn. Der Krieg brach aus, und er meldete sich freiwillig als Matrose und polierte ein Jahr lang Messing in der Marinewerft von Charleston. Dann zog er zur Abwechslung nach Norden und polierte ein Jahr lang Messing in der Marinewerft von Brooklyn. Als der Krieg vorbei war, kehrte er heim.«
Die letzte Story, die Fitzgerald in diesem für ihn so produktiven Jahr 1920 publizierte, erschien am 12. Dezember in der Chicago Tribune. ›Der Bodensatz des Glücks‹ ist eine bewegende, wenngleich für den UnderstatementVirtuosen Fitzgerald ungewöhnlich pathetische Geschichte, an deren Ende die Entsagung steht. Sie dreht sich um zwei befreundete Ehepaare, von denen eines deutliche Züge von Scott und
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