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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Boxen lernen, lernst du Boxen. Schreib deiner Mutter, dass du zwei Wochen länger bleibst.«
    »Und wenn du sagst –«
    »Also gut – ich gebe dir schon mal ein paar Beispiele. Erstens hast du kein unbefangenes Auftreten. Warum? Weil du dir deiner nicht sicher bist. Ein Mädchen, das sich perfekt frisiert und gekleidet fühlt, kann diesen Teil von sich vergessen. Das ist Charme. Je mehr von dir du vergessen kannst, umso größer dein Charme.«
    »Sehe ich denn nicht gut aus?«
    »Nein; zum Beispiel pflegst du deine Augenbrauen nicht. Sie mögen schwarz und glänzend sein, aber wenn sie in alle Richtungen abstehen, sind sie ein Makel. Sie wären sehr hübsch, wenn du dir für ihre Pflege ein Zehntel der Zeit nehmen würdest, die du mit Nichtstun verbringst. Du wirst sie bürsten, damit sie alle in eine Richtung wachsen.«
    Bernice runzelte besagte Brauen.
    »Heißt das etwa, dass Männer auf Augenbrauen achten?«
    »Ja – unbewusst. Und wenn du wieder zu Hause bist, solltest du dir die Zähne ein wenig richten lassen. Es fällt kaum auf, aber –«
    »Ich dachte«, unterbrach Bernice sie verwirrt, »du verachtest solche kleinen weiblichen Geziertheiten.«
    »Ich verachte geziertes Denken«, antwortete Marjorie. »Aber äußerlich muss ein Mädchen geziert sein. Wer umwerfend aussieht, kann sich auch erlauben, über Russland, Pingpong oder den Völkerbund zu reden.«
    »Was noch?«
    »Oh, ich fange gerade erst an! Als Nächstes kommt die Art, wie du tanzt.«
    »Tanze ich denn nicht gut?«
    »Nein. Du stützt dich auf den Mann; doch, doch – ein ganz klein wenig. Es ist mir aufgefallen, als wir gestern zusammen beim Tanzen waren. Und du hältst dich vollkommen gerade, anstatt dich ein wenig vorzuneigen. Wahrscheinlich hat dir mal eine alte Dame vom Rand des Parketts aus zugeschaut und gesagt, du sähst so vornehm dabei aus. Aber wenn das Mädchen nicht zufällig sehr klein ist, hat der Mann es auf die Weise viel schwerer, und er ist schließlich derjenige, auf den es ankommt.«
    »Weiter.« Bernice schwirrte der Kopf.
    »Du musst lernen, auch zu den armen Teufeln nett zu sein. Du siehst immer aus, als hätte man dich beleidigt, sobald du an einen gerätst, der nicht zu den meistumschwärmten Jungen gehört. Aber, Bernice, ich werde alle paar Schritte abgeklatscht – und von wem wohl am häufigsten? Von besagten armen Teufeln natürlich. Kein Mädchen kann es sich leisten, sie zu übergehen. Sie bilden den größten Teil jeder Menge. Unreife, schüchterne Jungen, die den Mund nicht aufkriegen, sind das beste Konversationstraining. Ungeschickte Jungen sind die besten Tanzlehrer. Wenn du ihren Schritten folgen kannst und trotzdem graziös aussiehst, kannst du einem Panzer durch einen Wolkenkratzer aus Stacheldraht folgen.«
    Bernice seufzte tief, doch Marjorie war noch nicht fertig.
    »Wenn du auf einem Ball bist und vielleicht drei arme Teufel, die mit dir tanzen, richtig gut unterhältst; wenn du so amüsant mit ihnen plauderst, dass sie nicht merken, wie lange sie bei dir hängenbleiben, hast du schon einiges erreicht. Sie werden dich das nächste Mal wieder auffordern, und nach und nach werden so viele arme Teufel mit dir tanzen, dass die attraktiven Jungen keine Angst mehr haben müssen hängenzubleiben – und dann fordern sie dich auf.«
    »Ja«, sagte Bernice matt. »Ich glaube, ich verstehe allmählich, was du meinst.«
    »Und irgendwann«, sagte Marjorie abschließend, »werden sicheres Auftreten und Charme sich von selbst einstellen. Eines Morgens wirst du aufwachen und wissen, dass du beides hast, und auch die Männer werden es wissen.«
    Bernice stand auf. »Das war furchtbar nett von dir – aber so hat noch nie jemand mit mir geredet; ich bin ein bisschen durcheinander.«
    Marjorie gab keine Antwort, sondern betrachtete nachdenklich ihr eigenes Spiegelbild.
    »Wie lieb, dass du mir hilfst, du bist ein Schatz«, fuhr Bernice fort.
    Marjorie antwortete immer noch nicht, und Bernice fürchtete schon, sie habe zu dankbar gewirkt. »Ich weiß, du magst keine Gefühlsduselei«, sagte sie schüchtern.
    Marjorie drehte sich rasch zu ihr um. »Ach, das ist es nicht. Ich habe gerade überlegt, ob wir dir nicht einen Bubikopf schneiden lassen sollten.«
    Bernice fiel rückwärts aufs Bett.
    IV
     
    Am folgenden Mittwochabend fand im Countryclub ein Ball mit gesetztem Essen statt. Als die Gäste hereinschlenderten, suchte Bernice ihre Tischkarte und verspürte leisen Unmut. Zwar saß rechts von ihr G. Reece

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