Winterträume
sich. Ihm gefiel die Art, wie sie sich die Haare frisiert hatte, und er überlegte, ob es Brillantine war, die es so glänzen ließ. Und das Kleid stand ihr gut – ein dunkles Rot, das ihre schattigen Augen und rosigen Wangen hervorhob. Ihm fiel wieder ein, dass er sie am Anfang, als sie in die Stadt gekommen war, hübsch gefunden und erst später gemerkt hatte, wie langweilig sie war. Schade – langweilige Mädchen waren unerträglich –, aber hübsch war sie schon.
Seine Gedanken wanderten im Zickzack zu Marjorie zurück. Mit ihrem Verschwinden würde es sein wie so oft. Wenn sie wieder auftauchte, würde er sie fragen, wo sie gewesen sei – und sie würde ihm mit aller Deutlichkeit erwidern, das gehe ihn überhaupt nichts an. Wie dumm, dass sie sich seiner so sicher war! Sie sonnte sich in dem Wissen, dass kein anderes Mädchen in der ganzen Stadt ihn interessierte; sie forderte ihn dazu heraus, sich in Genevieve oder Roberta zu verlieben.
Warren seufzte. Der Weg zu Marjories Gefühlen war wirklich ein Labyrinth. Er blickte auf. Bernice tanzte erneut mit dem Jungen von außerhalb. Halb unbewusst tat er einen Schritt aus der Herrenriege heraus in ihre Richtung und zögerte. Dann sagte er sich, es sei ein Akt der Barmherzigkeit. Er ging auf sie zu – und stieß plötzlich mit G. Reece Stoddard zusammen.
»Verzeihung«, sagte Warren.
Doch G. Reece blieb nicht stehen, um sich zu entschuldigen. Er hatte schon wieder Bernice aufgefordert.
Nachts um ein Uhr drehte sich Marjorie, die Hand am Lichtschalter in der Diele, um und schaute noch ein letztes Mal in Bernice’ blitzende Augen. »Es hat also funktioniert?«
»Oh, Marjorie, ja!«, rief Bernice.
»Ich habe gesehen, dass du dich gut amüsiert hast.«
»Das habe ich auch! Das einzige Problem war, dass mir gegen Mitternacht der Gesprächsstoff ausging. Ich musste mich wiederholen – natürlich vor anderen Männern. Ich hoffe, sie tauschen sich nicht aus.«
»Das tun Männer nicht«, sagte Marjorie und gähnte, »und selbst wenn sie es täten – sie würden dich nur für noch raffinierter halten.«
Sie knipste das Licht aus, und als sie die Treppe hinaufstiegen, griff Bernice dankbar nach dem Geländer. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie müde getanzt worden.
»Siehst du«, sagte Marjorie, als sie oben waren, »ein Mann sieht, wie ein anderer dich abklatscht, und denkt, da muss wohl irgendwas dran sein. Also, morgen lassen wir uns was Neues einfallen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Als Bernice ihre Haare löste, ließ sie den Abend noch einmal Revue passieren. Sie hatte sich genau an die Anweisungen gehalten. Selbst als Charley Paulson sie zum achten Mal abklatschte, hatte sie getan, als sei sie hocherfreut, und sich so interessiert wie geschmeichelt gegeben. Sie hatte weder über das Wetter in Eau Claire noch über Autos noch über ihre Schule geredet, sondern die Unterhaltung auf mich, dich und uns beschränkt.
Doch ein paar Minuten bevor sie einschlief, wühlte ein rebellischer Gedanke schlaftrunken in ihrem Kopf – sie war diejenige, die all das vollbracht hatte. Gewiss, Marjorie hatte ihr erklärt, was sie sagen sollte, doch Marjorie hatte das meiste, was sie selber sagte, auch nur irgendwo gelesen. Bernice hatte das rote Kleid gekauft, obwohl es ihr nie besonders schön erschienen war, ehe Marjorie es aus ihrem Koffer ausgrub – ihre Stimme hatte die Sätze gesagt, ihre Lippen hatten gelächelt, ihre Füße getanzt. Marjorie nettes Mädchen – aber eitel – netter Abend – nette Jungen – wie Warren – Warren – Warren – wie hieß er gleich – Warren –
Sie schlief ein.
V
Für Bernice war die nächste Woche eine Offenbarung. Mit dem Gefühl, dass es den Leuten wirklich Freude bereitete, sie anzuschauen und ihr zuzuhören, kam das Selbstvertrauen. Natürlich unterliefen ihr am Anfang zahlreiche Fehler. Sie wusste zum Beispiel nicht, dass Draycott Deyo für das Pfarramt studierte; ihr war nicht klar, dass er sie aufforderte, weil er sie für ein stilles, zurückhaltendes Mädchen hielt. Wäre es ihr bewusst gewesen, hätte sie ihn nicht mit dem Spruch »Hallo, Granatenwerfer!« beglückt und nahtlos die Badewannengeschichte angeschlossen: »Im Sommer kostet es mich schrecklich viel Kraft, mir die Haare zu frisieren – ich habe so viele davon –, deshalb frisiere ich sie mir immer zuerst, pudere mir das Gesicht und setze meinen Hut auf; dann steige ich in die Badewanne und kleide mich hinterher an. Meinen Sie nicht
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