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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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mal wusste, dass diese Yacht überhaupt existiert. Und wenn’s nicht diese hier gewesen wär, wär’s halt die nächste gewesen, an der wir unterwegs vorbeigekommen wären, es liegen ja genug davon an diesem Küstenstrich vor Anker.«
    »Wer sind Sie eigentlich?«, fragte Ardita plötzlich. »Und was sind Sie?«
    »Sie haben also beschlossen, nicht an Land zu gehen?«
    »Ich denk nicht mal im Traum daran.«
    »Man kennt uns allgemein, uns alle sieben«, sagte er, »als Curtis Carlyle und die Six Black Buddies, zuletzt zu sehn am Broadway in Minskys Winter Garden und im Midnight Frolic an der Forty-second Street.«
    »Ihr seid Sänger?«
    »Wir waren es – bis heute. Momentan sind wir auf der Flucht vor der Justiz – wegen der weißen Beutel da drüben –, und ich müsste mich schwer irren, wenn die auf unsere Ergreifung ausgesetzte Belohnung nicht mittlerweile schon die 20000-Dollar-Marke erreicht hat.«
    »Und was ist in den Beuteln drin?«, fragte Ardita neugierig.
    »Nennen wir’s fürs Erste Schlamm«, sagte er. »Florida-Schlamm.«
    III
     
    Zehn Minuten nach der kleinen Unterredung, die Curtis Carlyle mit dem völlig verängstigten Maschinisten der Yacht gehabt hatte, war der Anker gelichtet, und die Narcissus dampfte durch die milde tropische Abenddämmerung gen Süden. Der kleine Mulatte Babe, der offenbar Carlyles bedingungsloses Vertrauen genoss, war ganz Herr der Lage. Mr. Farnams Kammerdiener und der Koch, die Einzigen von der Crew, die außer dem Maschinisten Widerstand geleistet hatten, lagen inzwischen sicher vertäut unten in ihren Kojen und konnten sich die Sache noch mal in aller Ruhe überlegen. Trombone Mose, der größte der sechs Schwarzen, war mit einer Büchse Farbe dabei, den Namen Narcissus am Bug zu überpinseln und durch den Namen Hula Hula zu ersetzen, und die Übrigen hatten sich achtern versammelt und spielten hingebungsvoll Craps.
    Carlyle hatte angeordnet, dass das Essen zubereitet und um neunzehn Uhr dreißig an Deck serviert werden sollte, und sich dann wieder zu Ardita gesellt, war auf seinem Sofa in die Polster gesunken und mit halb geschlossenen Augen in einen Zustand abgrundtiefer Geistesabwesenheit verfallen.
    Ardita betrachtete ihn mit prüfendem Blick und sortierte ihn sogleich unter der Rubrik »romantische Charaktere« ein. Er wirkte wie jemand, der ein maßloses, allerdings auf äußerst wackligen Füßen stehendes Selbstvertrauen besitzt –unmittelbar unter der Oberfläche jeder seiner Entscheidungen erkannte sie ein Zögern, das im krassen Gegensatz zu seinen arrogant geschürzten Lippen stand.
    ›Der ist nicht so wie ich‹, dachte sie. ›Irgendwo ist da ein Unterschied.‹
    Als Egozentrikerin erster Güte, die sie war, dachte Ardita häufig über sich selber nach, und da sie nie auf die Idee gekommen war, ihr egozentrisches Verhalten selbstkritisch in Frage zu stellen, geschah dies vollkommen natürlich und ohne ihrem unbestreitbaren Charme in irgendeiner Weise Abbruch zu tun. Sie war neunzehn, wirkte aber wie ein überaus lebhaftes altkluges Kind, und im strahlenden Widerschein ihrer jugendlichen Gegenwart und Schönheit waren alle Leute, die sie traf, egal, ob Männer oder Frauen, einfach nur Treibholz auf den kräuselnden Gewässern ihrer Launen. Sie hatte auch schon andere Egozentriker kennengelernt – ja, sie hatte sogar die Feststellung gemacht, dass selbstsüchtige Menschen sie nicht ganz so arg langweilten wie selbstlose –, doch war sie bislang noch niemandem begegnet, der sich am Ende nicht geschlagen gab und ihr zu Füßen lag.
    Zwar hatte sie den Mann da auf dem Sofa nebenan sogleich als Egozentriker erkannt, doch anders als sonst hatte sie diesmal nicht das Gefühl, dass ihr Verstand die Schotten dicht, das Schiff also gefechtsklar machte; vielmehr verriet ihr der Instinkt, dass der Bursche irgendwie vollkommen sturmreif war und völlig wehrlos. Wenn Ardita den gesellschaftlichen Konventionen trotzte, was neuerdings ihr bevorzugter Zeitvertreib war, so tat sie dies aus einem starken Drang heraus, sie selbst zu sein, und sie merkte sehr wohl, dass dieser Mann im Gegensatz zu ihr allein mit seinem eigenen Trotz beschäftigt war.
    Ihr Interesse an ihm war viel größer als das an ihrer eigenen Situation, die sie nicht mehr bewegte, als ein zehnjähriges Kind die Aussicht bewegen mag, am Nachmittag ins Theater zu gehen. Sie vertraute blind auf ihre Fähigkeit, in jeder Lebenslage für sich selbst zu sorgen.
    Die Nacht wurde tiefer. Mit

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