Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

hielt sie zurück.
    „Eine Frage habe ich noch. Was ist damals geschehen in der Nacht, als ich mein Gedächtnis verloren habe? Ich weiß, dass es kein Reitunfall war!“
    Wieder sackte Anne auf den Sessel zurück. Natürlich hatte sie gerade dieses Thema nicht anschneiden wollen, doch es war wohl das Beste, es hinter sich zu bringen. Am schlimmsten daran war, dass es ein kurzes Gespräch werden würde, denn ihre Antwort lautete: „Ich weiß es nicht genau.“
    Arrow wirkte erschrocken und entschlossen zugleich. „Aber etwas weißt du schon?“
    „Zu wenig und zu unvollständig.“
    „Das ist mir egal. Ich will es hören – jede Kleinigkeit, jedes Detail – egal wie unbedeutend!“
    Anne senkte den Blick und versuchte sich zu erinnern. Es muss sehr schmerzlich gewesen sein, denn die Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben und Tränen sammelten sich in ihren Augen.
    „Ich erinnere mich an ... Schreie und Tod. Es war Rauhnachtszeit und die Geister kamen plötzlich von überallher. Viele von uns starben in jener Nacht. Die wenigen, die übrig blieben, flüchteten. Die meisten habe ich bis zum heutigen Tage nicht wieder gesehen und auch habe ich nichts von ihnen gehört.
    Ich selbst bin damals hierher geflüchtet. Rose ist mein zweiter Vorname. Nur meine engsten Vertrauten kennen ihn und nur sie hätten mich darunter aufspüren können. Erst vier Tage später klopfte es an meine Tür. Als ich öffnete, stand Bon davor, der dich zu mir brachte – scheinbar in letzter Minute. Nachdem er dich abgelegt hatte, erzählte er, dass er dich zusammen mit einem Jagddämon gesehen hatte. Wir wussten nicht, was er dir angetan hatte. Es gab schon Berichte, dass sie ihr grausames Selbst in unschuldige Seelen einpflanzten und ungesehen durch diese Welt spazierten, um das Leid auszubreiten. Dabei können sie die Vertrauten des Wirtes sehr gut hinters Licht führen, denn sie nisten sich in den Verstand und die Erinnerungen ein. Den Wirt selbst allerdings verdrängen sie dabei und es ist schwer, ihnen auf die Schliche zu kommen.
    Nur dein Perseide hätte sehen können, ob der Dämon dich in Besitz genommen hat. Doch er war verschwunden. Als er nach tagelangem Warten noch immer nicht aufgetaucht war, nahm ich dir dein Gedächtnis. Hätte der Jagddämon in dir gewohnt, so wäre auch er ohne Erinnerungen gewesen. So konnte ich ihn ablenken, bis der Perseide auftauchte.“
    „Und es gab wohl keine andere Möglichkeit?“, fragte Arrow forsch, die sich an all den Kummer und das Leid erinnerte, das sie in den letzten Jahren durchlebt hatte.
    „Die Alternative wäre gewesen, dich zu töten!“, erwiderte Anne barsch – wohl wissend, was ihre Enkelin durchgemacht hatte und ihren Zorn spürend.
    Arrow erschrak. „Und jetzt, wo Whisper wieder aufgetaucht ist, wie weiß ich da, dass ich keinen Jagddämon in mir trage?“
    „Wäre das der Fall gewesen, hätte er dich umgebracht! Das ist seine Aufgabe. Deshalb ist er an deiner Seite!“
    Arrow fuhr sich mit den Händen durch ihre Harre. Kopfschüttelnd fragte sie sich, warum sie noch immer lebte, wo doch scheinbar der Tod ihr schon so viele Male so dicht auf den Fersen gewesen war.
    „Und Whisper“, entgegnete sie schluchzend, „weißt du auch, warum er jetzt die Gestalt eines Pferdes angenommen hat?“
    „Nach dem Vorfall der besagten Nacht haben alle Wächter eine Gestalt angenommen. Es diente ihrem Schutz. Unsere Tarnung war aufgeflogen und unsere Verfolger waren uns auf den Fersen. In unsere Verstecke konnten wir nicht zurück. Es schien sicherer, hier ein neues Leben zu beginnen mit ihnen als Haustiere an unserer Seite. Doch lediglich die Gestalt haben sie verändert. Für unser Leben spielen sie eine genauso wichtige Rolle wie zuvor.“
    „Und Merlin ist dann auch ein Perseide?“, fragte Arrow verunsichert.
    „Aber nein“, winkte Anne ab. „Er mag etwas Besonderes sein, trotzdem ist er ein gewöhnliches Pferd. Wenn du auf einen Perseiden triffst, dann wirst du es fühlen.“
    Bevor Anne ging, drückte sie ihrer Enkelin noch einige Blätter Papier in die Hand. Es waren die Seiten aus dem Buch, das Arrow so oft verärgert in das Regal der Bibliothek in Elm Tree zurück gestellt hatte. Sie erzählten die Geschichte ihres Volkes.
    Arrow brauchte lange, um in dieser Nacht endlich einschlafen zu können. Als sie schließlich auf dem Sessel einschlummerte, hörte sie noch dumpf den morgendlichen Hahnenschrei.
     

Keylams Perseide
     
    Lautes Gewusel weckte Arrow. Als sie