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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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hättest die Geliebte eines französischen Gesandten sein können, musst jetzt aber leider mit einem Perückenmacher vorliebnehmen.
    Als er in Venedig eintrifft, ist Monsieur Montaigu, der Botschafter, wenig darüber erfreut, dass ihm der Neue als Erstes eine Hotelrechnung hinlegt, die ein ganzes Monatssalär übersteigt. Weder war es so abgemacht, noch steht in den Statuten, dass ein Sekretär sich eigenmächtig drei Wochen lang in ein nobles Hotel einmieten kann, und das noch zu einer Zeit, da in Genua die Preise wegen einer Epidemie, die dort in einem Viertel ausgebrochen war, dreimal höher sind als sonst. Im Grunde hätte Monsieur Montaigu gute Lust, ihn sofort wieder zurückzuschicken, zumal Jean-Jacques dem restlichen Personal gegenüber auch noch behauptet, von Genua nicht das Geringste gesehen und die ganze Zeit über mutterseelenallein in einem kahlen Lazarettzimmer verbracht zu haben, in einer Zelle mit nichts als Flöhen, einem nackten Fußboden als Matratze und einem Treppenabsatz als Tisch.
    Dass man so schamlos lügen könne, habe er noch nie erlebt, schimpft Monsieur Montaigu. Schließlich wisse er längst durch entsprechende Depeschen, dass die Quarantäne dort nur ein paar Tage gedauert habe.
    Jean-Jacques konnte nicht wissen, dass man in den Botschaften immer als Allererstes erfährt, was draußen in der Welt passiert. Und es kam ihm auch nicht in den Sinn, daran zu denken, dass der Botschafter eine ganz genaue Vorstellung davon haben könnte, wie lange eine Kutsche von Genua nach Venedig braucht. Jedenfalls nicht drei Wochen, allenfalls die Hälfte. Auch war es ein Fehler, Monsieur Montaigu sofort von den prächtigen Palästen, den herrlichen Frauen und vielen Tavernen in Mailand, Verona und Padua vorzuschwärmen.
    Nicht weniger ist Monsieur Montaigu darüber erstaunt, dass der junge Herr sich gleich beim ersten Botschaftsempfang, den er miterlebt, darüber beschwert, nicht in der ersten Reihe neben dem spanischen Granden Platz nehmen zu dürfen, sondern einen Stehplatz zugewiesen zu bekommen. Und noch viel weniger kann Monsieur Montaigu es fassen, dass Jean-Jacques mit der Behauptung, sonst seinen Geschäften nicht angemessen nachkommen zu können, sofort eine eigene Gondel mit einem eigenen Gondoliere fordert, obwohl er noch überhaupt nicht weiß, worin seine Geschäfte überhaupt bestehen. Im Übrigen verlangt Jean-Jacques standesgemäße Kleidung und eine gepuderte Perücke, schließlich könne man in seiner Position nicht wie ein Bauer herumlaufen, zumal gerade die Karnevalszeit begonnen habe, was bedeute, dass er an Maskenbällen und Umzügen teilnehmen, so oft wie möglich in die Oper gehen und dabei jedes Mal Frankreich repräsentieren müsse, weshalb Frankreich auch für sein Äußeres aufzukommen habe. Ein schlichter Rock mit bunten Borten und eine billige, glitzerige Dominobrille genügten da nicht. Wer aus Paris komme, sehe in Venedig leicht wie ein Vagabund aus. Was sich, behauptet Jean-Jacques, ein Gesandter auf keinen Fall leisten könne.
    Sie sind Sekretär, weist Monsieur Montaigu ihn zurecht.
    Vom ersten Tag an hat Jean-Jacques das Gefühl, dass dieser Mann ihm nicht im geringsten das Wasser reichen kann. So ungeschickt, wie er Frauen zu schmeicheln versucht, macht er eine geradezu lächerliche Figur, und was die Ordnung in seinem Büro anbelangt, so offenbart sich in ihr das ganze Durcheinander in seinem Kopf. Spätestens in einem Jahr, sagt Jean-Jacques sich, sitze ich an seiner Stelle. Allein schon dass der Herr Botschafter nicht des Italienischen mächtig ist, gibt ihm Macht über ihn. Immerhin greift man auf Jean-Jacques sogar bei solchen Gesprächen als Dolmetscher zurück, die als geheim gelten. Zu seiner Verwunderung werden dort zwar nie weltbewegende Dinge besprochen, doch näher an der Macht kann man kaum sein. Und die Korrespondenz erledigt er derart exzellent, dass der Botschafter darin kaum noch seine eigenen Gedanken zu erkennen vermag. Aus Halbsätzen, die er ihm diktiert, macht Jean-Jacques ganze Romane, und nüchterne Meldungen verwandelt er in regelrechte Gedichte.
    Es ist erstaunlich, schreibt Jean-Jacques nach zwei Wochen an Mama, wie hervorragend ich als gelernter Musiker Dinge beherrsche, die bisher ganz und gar außerhalb meiner Aufgabenbereiche lagen. Außer mir arbeitet hier so gut wie keiner, am allerwenigsten der Botschafter selbst. Genau genommen ist er längst mein Untergebener. Dass zwischen Venedig und Paris alles zu größter Zufriedenheit

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