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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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seinem Notensystem, das ohne Noten auskommt und tausendmal einfacher als das alte ist. Und er erzählt ihm auch, dass er bald eine Oper schreibt und bereits ein paar fast fertige Theaterstücke in der Schublade liegen hat. In Lausanne sei sogar schon ein musikalisches Werk von ihm aufgeführt worden, in Savoyen sei er Gesangslehrer gewesen, und die Harmonielehre von Rameau kenne er in- und auswendig.
    Für sein Riesenunternehmen, alles Wissen der Welt aufzuhäufen, braucht Diderot natürlich auch einen Experten für Musik. Einen, der sich auskennt. Einen Mann vom Fach. Dass er in Jean-Jacques auf ihn trifft, ist eine Fügung des Himmels. So kommt das eine zum anderen, schneller, als man denkt. Diderot weiß ein bisschen über alles Bescheid. Und hat auch zu allem eine Idee. Er hätte auch Advokat oder Doktor werden können. Vielleicht aber auch Mathematiker. Schriftstellerei könnte er sich auch vorstellen. Nur keine Gedichte. Dafür allgemeine Gedanken zu diesem und jenem, sei es über einen alten Morgenrock oder über den Kosmos als solchen. Diderot, so hat Jean-Jacques das Gefühl, fällt zu allem etwas ein. Man muss ihm nur ein Stichwort liefern. Obwohl er Gott für ein reines Hirngespinst hält, hat er sein Geld auch schon mit dem Abfassen von Predigten verdient, die ihm Pfarrer und Missionare abgekauft haben.
    Woher allerdings die Unsummen für sein gigantisches Werk kommen sollen, ist ihm selbst noch nicht klar. Hat man erst einmal die Spezialisten zusammen, ergibt sich, so behauptet Diderot, der Rest wie von selbst. Vor allem dann, wenn es sich um Leute handelt, die sich in ihrem Fach schon einen Namen gemacht haben. Zum Beispiel mit einem neuen Notensystem.
    Madame Dupin, in deren Salon selbst Voltaire schon verkehrt haben soll, empfängt Jean-Jacques im Morgenkleid, mit nackten Armen und offenem Haar. Es kann kein Zufall sein, dass sie mich so empfängt, denkt Jean-Jacques.
    Madame will von ihm eine Kostprobe, egal wovon. Reden kann jeder, sagt sie, aber mit einer Probe werde man sehen, ob er als Sekretär zu gebrauchen sei.
    Von einem Sekretär war bei dem Pater mit keinem Wort die Rede. Jean-Jacques ist Komponist, hat ein neues Notensystem erfunden, und in Turin wurde ihm eine Laufbahn als Diplomat vorausgesagt.
    Er müsse es sich noch überlegen, antwortet er Madame.
    Wenn er erst überlegen müsse, danke sie für den Besuch.
    Es ist ein Hinauswurf.
    Jean-Jacques entschuldigt sich, versucht sich wieder zu fangen, entschuldigt sich nochmals und sagt sich: Ist man erst einmal Sekretär, wird man auch in den Salon gebeten.
    Bei seinem zweiten Besuch lädt Madame Dupin ihn zur Tafel. Er darf ganz allein mit ihr speisen, was nur beweist, dass es bald so weit ist. Madame will wissen, was er bislang gemacht hat. Jean-Jacques zählt alles auf: Lausanne, das neue Notensystem, den Gesangsunterricht, seine vielen Theaterstücke, die in der Schublade liegen, die fast fertige Oper. Auch deutet er etwas von einem kolossalen Unternehmen an, bei dem er für die gesamte Musik zuständig ist.
    Hinter ihrem kleinen Hochmut, so hat er den Eindruck, verbirgt Madame mehr schlecht als recht, dass sie in ihn verliebt ist. Mit ihrem gespielten Dünkel muss sie sich vor ihren eigenen Gefühlen schützen. Was er nur umso erregender findet. Von einer Kostprobe erwähnt sie inzwischen nichts mehr. Obwohl er ihr jenes Gedicht mitgebracht hat, in dem von Kunst und Natur, Wahrheit und Spiel, vom Jünger- und Älterwerden die Rede ist, das er Condillac geschenkt hat. Aber sie will es gar nicht hören. Vermutlich ist es ihr, sagt Jean-Jacques sich, inzwischen peinlich, ihn beim ersten Mal beinahe hinausgeworfen zu haben. Und jetzt speist er schon Schnecken und trinkt Champagner mit ihr. Was alles kein Zufall sein kann. Je länger sie miteinander plaudern, desto sicherer ist er sich.
    Beim dritten Mal überreicht er ihr einen Brief, in dem viel vom Herzen die Rede ist. Beim vierten Mal gibt Madame ihm den Brief mit der Bemerkung zurück, er solle sich gefälligst zusammenreißen.
    Danach ist er krank. Eine ganze Woche lang. Das Übliche. Herzrasen, Schwindelgefühle, schrilles Getön in den Ohren.
    Kaum gesund, mit Ringen unter den Augen und verstörtem Blick, begibt er sich erneut zu Madame Dupin. Sie empfängt ihn weder frostig noch freundlich, sondern so, als wäre man sich noch nie begegnet. Von nun an sitzt er jeden Morgen bei ihr. Den Federkiel fest zwischen den Fingern, schreibt er stundenlang mit, was sie ihm ohne Punkt und Komma

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