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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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geregelt wird, darf ich mir als alleiniges Verdienst anrechnen.
    Tatsächlich ist man rundum mit seiner Arbeit zufrieden, würde er nur nicht immer wieder kleine und größere Tobsuchtsanfälle bekommen, manchmal sogar in Anwesenheit allerhöchster Herrschaften. Wie beispielsweise beim Empfang auf einem französischen Flottenschiff, das er entrüstet wieder verlässt, weil man ihm zu Ehren keine Salutschüsse abgefeuert hat. Auch muss der Botschafter eines Tages zu seinem Entsetzen entdecken, dass Jean-Jacques für jeden Pass, den er ausstellt, einen ganzen Golddukaten einkassiert. Ein Graf, der nach Paris reisen wollte, hatte sich deshalb an oberster Stelle beschwert. Monsieur Montaigu hat alle Hände voll damit zu tun, einen Skandal zu vermeiden. Nur beharrt Jean-Jacques trotzdem auf seinem Recht, für die Ausstellung eines Passes eine Gebühr zu verlangen, auch wenn es dafür keine Vorschrift gibt. Schließlich sei man in Italien.
    Der Botschafter sagt etwas von Bestechung. Auch das Wort Korruption fällt. Er appelliert an die Ehre. Und dann, so empört er sich, gleich ein ganzer Golddukaten! Ein wahres Vermögen! Wenn man die Leute schon erpresse, dann mit etwas mehr Bescheidenheit, bitte. Ich dulde das nicht in meinem Haus!, fängt er zu schreien an.
    Ich mache meine Arbeit, Monsieur, und Sie die Ihre, erklärt Jean-Jacques ganz sachlich.
    Was unter diesem Dach stattfindet, bestimme ich!, brüllt der Botschafter.
    Wer stellt denn hier die Pässe aus, Sie oder ich?, fragt Jean-Jacques ganz ruhig.
    Wenn hier jemand Gebühren festsetzt, dann bin ich es und nicht die Lakaien!, brüllt der Botschafter weiter.
    Ich kann hier nirgends einen Lakaien entdecken, weit und breit nicht, gibt Jean-Jacques erstaunt zurück.
    Jetzt weiß man endlich, schreit Monsieur Montaigu, wie Sie zu Ihrem lächerlichen Samtrock, Ihrer geckenhaften Weste und der grotesken Lockenperücke kommen. Ganz Venedig lacht über Ihr gespreiztes Getue, Ihre äffischen Manieren, Ihre weibische Selbstgefälligkeit.
    Weil Jean-Jacques sich sein Gebrüll immer noch seelenruhig anhört, schlägt der Botschafter schließlich vor, die Einnahmen zu teilen, jeder die Hälfte.
    Jean-Jacques weigert sich. Sollte es sich tatsächlich um Korruption handeln, könne es nur im Sinne des Botschafters sein, damit nicht das Geringste zu tun zu haben, erklärt er.
    Manchmal staunt Jean-Jacques selbst am allermeisten über seine neue Entschiedenheit. Doch es funktioniert. Nie gibt es einen so großen Widerstand, dass er sich wieder klein fühlen müsste. Ganz im Gegenteil. Man muss einfach an einem fremden Ort ganz von vorn anfangen, und die Welt gehorcht. An einem Ort, wo einen noch keiner kennt. Dann wird man zu dem, der man eigentlich ist. Und man muss es weitertreiben, muss es steigern, sonst verlernt man es sofort wieder, sagt sich Jean-Jacques.
    Dass die wöchentlichen Depeschen nach Paris mit dem Namen Montaigu unterzeichnet sind, erträgt er immer weniger. Er hält es für eine Anmaßung. Für eine Enteignung. Anfangs hatte er Montaigus Gestammel lediglich in ein richtiges Französisch gebracht, dann ein bisschen barock ausgeschmückt, doch inzwischen stammt kein einziger Satz mehr von diesem Krüppel. Er unterschreibt nur noch, ohne hinzuschauen. In Paris müsste man sich eigentlich wundern, dass ein solcher Idiot wie ein Dichter formulieren kann. Und man müsste sich dort auch einmal fragen, wer in Venedig eigentlich die ganze Arbeit macht.
    Als ihn Montaigu eines Tages wieder einmal daran erinnert, dass er nur Sekretär ist, und sich weigert, ihn zum Diner beim Herzog von Modena mitzunehmen, fragt Jean-Jacques ihn, wie er sich denn ohne Dolmetscher unterhalten wolle. Montaigu reicht es. Bedienstete seien bei solchen Herrschaften noch nie eingeladen gewesen, schreit er ihn an und setzt noch in dieser Stunde ein Schreiben auf, in dem er Paris davon unterrichtet, dass er einen neuen Sekretär braucht.
    Mit der gleichen Post geht auch ein Brief von Jean-Jacques nach Paris, in dem es heißt: Ich fühle mich dazu angehalten, Ihnen höchstvertraulich mitteilen zu müssen, dass Monsieur Montaigu Frankreich keine Dienste erweist, wenn er weiterhin Botschafter in Venedig bleibt. Weder ist er des Italienischen mächtig, noch kommt er sonst seinen Aufgaben nach. Würde ich nicht selbst mich aller Angelegenheiten annehmen, es stünde nicht gut um das Verhältnis zwischen Paris und Venedig. Jederzeit bin ich bereit, seine Aufgaben auch formell zu übernehmen.
    Tags darauf

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