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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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nicht missbrauchen? Also auch jedes Wissen. Soll aber der Missbrauch den Gebrauch ausschließen? Kann nicht jede Religion in Heuchelei enden, die Justiz zur Schikane werden und die Astronomie in Astrologie ausarten?
    Jean-Jacques ist glücklich. Endlich hat er es so weit wie Voltaire gebracht. Von nun an diskutieren Könige und Fürsten mit ihm. Unbekannten Kläffern antwortet er aus Prinzip nicht. Bei Stanislas ist es etwas anderes. Er wird für ihn eine eigene Abhandlung verfassen und sie im Mercure veröffentlichen. Nie habe er die Wissenschaft an sich schlechtmachen wollen, wird er ihm versichern, das eigentliche Problem sei ein ganz anderes, nämlich die Ungleichheit. Hier liege die Wurzel allen Übels. Jean-Jacques hat ein neues Thema gefunden. Er muss seinen Roman erweitern und die Anfänge der Menschheit erklären.
    Auch wenn die meisten es für Unsinn halten, was dieser Mann behauptet, so reden doch alle über ihn. Jean-Jacques steht im Rampenlicht. Den gleichen Leuten, die vor ein paar Jahren noch meinten, über sein Notensystem spotten zu müssen, ist das Lachen inzwischen vergangen. Diderot glaubt nach wie vor, dass Jean-Jacques sich bloß eine Rolle anzieht und man mit ihm, wenn der Trubel vorbei ist, wieder vernünftig reden kann. Immerhin weiß im Salon Holbach jeder, wie sich diese Geschichte in Wirklichkeit abgespielt hat. Man gönnt ihm den Erfolg, findet es allerdings merkwürdig, dass ihm seine Thesen tatsächlich zu Kopf gestiegen sind, er inzwischen sein Damaskuserlebnis daraus macht und sich als wahrhafter Wüstenprediger aufspielt. Und das alles nur, weil er vor Ehrgeiz brennt, ihm jedoch ohne Diderot nichts eingefallen wäre. Nur hat er jetzt, wie Holbach witzelt, Lust daran gekriegt, die ganze Welt auszupeitschen.
    D’Alembert, der nach überallhin Verbindungen besitzt, hat sich kundig gemacht. Das abtrünnige Akademiemitglied aus Dijon hat ihm einen Brief geschickt, in dem das Bild der Jury gezeichnet wird. Als Jean-Jacques in Holbachs Salon bei der wöchentlichen Tafelrunde mit seinem neuen Kaftan zwischen Diderot und Grimm sitzt, liest d’Alembert es gleich beim Entrée, das diesmal aus Forellensuppe mit Pimpernellegebäck besteht, vor:
    Obwohl sie brave Katholiken sind, heißt es da, steht selbst Calvin diesen Leuten näher als jener Voltaire, der in fast allen Akademien Europas Ehrenmitglied ist, derjenigen in Dijon jedoch niemals beitreten würde und ihr vor allem niemals beitreten dürfte. Es sind lauter gute Christen, die davon überzeugt sind, dass die Menschen inzwischen zwar viel mehr als früher wissen, sich dadurch moralisch aber keinen Deut gebessert haben. Der Preiskommission gehören zehn Mitglieder an: der alte Pfarrer Léaute, der die neuere Philosophie aus Prinzip nicht zur Kenntnis nimmt, da sie in seinen Augen für die Auflösung der althergebrachten Ordnung und den Autoritätsschwund der Kirche verantwortlich ist; ihm zur Seite sein noch betagterer Mitbruder Derepas, ein Domherr, der in der Akademie einmal eine humorige Hymne auf das maßvolle Weintrinken hielt, was ihm einen Rüffel des Bischofs einbrachte; als einer der Jüngsten im Bunde der von seinen Ländereien lebende Advokat Perret; dann der erst fünfundzwanzigjährige Louis Guyot, ebenfalls Advokat, von der Universität in Dijon als Professor abgelehnt, in der Stadt als Schleimer bekannt, der jedem, von dem er sich einen Vorteil erhofft, nach dem Munde redet; des weiteren Fromageot, ein älterer Kollege von ihm, Sohn eines Rechtsprofessors und rigider Jansenist, der moralische Traktate verfasst, in denen er jede Art von Philosophie verdammt, die sich nicht in den Dienst des Evangeliums stellt; schließlich Lantin de Damerey, der Präsident der Kommission, ein Mann, der alle Kunst und alles Wissen für nichtig hält, solange wir nicht zuerst auf unser von Gott eingepflanztes Gewissen hören; als Letzter im Bunde Claude Gelot, Vermögensverwalter einer reichen Witwe und Parvenu aus der ländlichen Bourgeoisie mit dem Ruf eines Aufschneiders, der sich überall durchmogelt, sich in alles einmischt, notfalls gnadenlos rücksichtslos ist und von nichts eine Ahnung hat. Drei weitere Kommissionsmitglieder haben von den eingeschickten Schriften keine einzige gelesen, weshalb sie sich der Mehrheit anschließen.
    Alle kichern, als d’Alembert fertig ist. Sogar Diderot.
    Sie gönnen es mir nicht, sagt Jean-Jacques sich. Ich gehöre nicht zu ihnen.

VII
    D ie Holbach-Clique ist der letzte Beweis dafür, dass Philosophie

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