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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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Sophie gewarnt. Sophie glaubt, dass ihre Schwägerin eifersüchtig ist. Dass Saint-Lambert sich auf einmal für einen Besuch ankündigt, ist der letzte Beweis dafür.
    Ein letztes Mal trifft sie sich mit ihm unter der Akazie. Ein letztes Mal will Jean-Jacques sie zur sofortigen Flucht überreden. Ein letztes Mal droht er ihr, sich sonst umzubringen. Ein letztes Mal will sie die Briefe zurückhaben, die sie ihm geschrieben hat.
    Je näher der Tag rückt, an dem Saint-Lambert eintreffen soll, desto dringlicher wird Sophies Bedürfnis, alle wissen zu lassen, dass sie lediglich mit ihm spazieren gehen und nur mit ihm reden wollte. Aus Spaziergängen seien Bedrohungen, aus Gesprächen Zudringlichkeiten geworden.
    Jean-Jacques bestellt Diderot zu sich, der ihm erklären soll, warum Saint-Lambert über alles unterrichtet ist. Schließlich kann es kein anderer als er gewesen sein, der Saint-Lambert alles verraten hat. Doch Diderot behauptet, die Spatzen pfiffen es längst von den Dächern. Ganz Paris rede von nichts anderem. Es sei lächerlich, zu glauben, man habe noch etwas Heimliches ausplaudern können.
    Womit für Jean-Jacques feststeht, dass er der Verräter ist.
    Dass Diderot ihn daraufhin auch noch zu bitten wagt, Madame d’Epinay wegen einer dringenden Angelegenheit nach Genf zu Doktor Tronchin zu begleiten, ist ungeheuerlich. Jean-Jacques ist sich sicher, dass es sich nur um eine Abtreibung handeln kann. Nicht nur ist Tronchin Voltaires Leib- und Magenarzt, Grimm soll sich gefälligst selbst darum kümmern, sagt sich Jean-Jacques. Im Übrigen kann er es sich nicht noch ein zweites Mal erlauben, mit einer wildfremden Frau in Genf aufzutauchen.
    Für das, was Madame d’Epinay alles für ihn getan habe, sei er ihr zu mehr als nur Dank verpflichtet, behauptet Diderot. Sie habe ihm das Gartenhaus ausgebaut, jeden Wunsch von den Augen abgelesen und ihn, wann immer ihm danach gewesen sei, in Ruhe gelassen. Er lebe bei ihr wie im Paradies und bezahle keinen Sou dafür. Bitte man ihn aber ein einziges Mal um etwas, schreie er gleich: Ich bin keinem etwas schuldig!
    Von diesem Tag an existiert für Jean-Jacques auch Diderot nicht mehr. Den letzten Artikel für die Enzyklopädie hat er gerade noch rechtzeitig bei ihm abgeliefert.
    Auch Madame d’Epinay versteht die Welt nicht mehr. Zum ersten Mal klagt sie gegenüber Thérèse, mit der sie sonst nie viel geredet hat, man habe sie vor ihm gewarnt.
    Man hat es mir immer gesagt, schüttelt sie den Kopf. Zuerst verliebt er sich in alle, wirft sich auf die Knie, heult wie ein Hund und will an ihren Brüsten saugen. Und ein Jahr danach muss man dafür büßen, dass er sich derart entblößt hat.
    Ihr selbst, habe sie gedacht, würde das nie widerfahren. Mit ihr würde alles anders werden. Sie würde allen zeigen, dass es auch anders geht, wenn man mit ihm nur umzugehen versteht. Sie könnte das, dachte sie. Vielleicht als Einzige.
    Jean-Jacques packt noch am gleichen Tag die Koffer.
    Gleich nebenan findet er auf einem der Schlösser der Herzogin von Luxemburg eine neue Bleibe. Durch einen Diener lässt seine neue Gönnerin ihm ausrichten, er sei an der fürstlichen Tafel jederzeit willkommen. Madame Dupin, Madame d’Epinay, Madame d’Houdetot und wie sie alle heißen, sind ein Nichts gegen die Herzogin und ihren Gatten, den Oberbefehlshaber der königlichen Truppen. Jean-Jacques stehen jetzt eine Bibliothek mit hunderttausend Büchern, ein Naturalienkabinett und ein Park zur Verfügung, der alles, was die Fantasie sich auszumalen wagt, weit übertrifft.
    Bevor es endgültig nach Genf zurückgeht, will er hier der Welt noch seine beiden wichtigsten Werke hinterlassen: ein Erziehungsbuch, das der Menschheit wieder den Weg zu sich selbst zurück weist, und eine Gesellschaftslehre, die aufzeigt, dass das Volk ein gesunder Körper sein könnte, wenn man ihm nur immer rechtzeitig die kranken Glieder abschlagen würde.
    Der Herzog und die Herzogin behandeln ihn wie einen der Ihren. Jean-Jacques darf ihnen immer wieder aus seinen neu entstehenden Werken vorlesen. Die beiden sind begeistert, wenn er ihnen Sätze schenkt, die sich jederzeit zitieren lassen und überall Eindruck machen: Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut, alles entartet unter den Händen des Menschen! Es ist, als hätten die beiden schon lange auf solche Wahrheiten gewartet und endlich jemanden gefunden, der sie so wunderbar zum Klingen bringen kann.
    Trägt Jean-Jacques ein neues Kapitel vor, hält

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