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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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dass sie am besten unsichtbar bleiben und das Haus nur für die nötigsten Verrichtungen verlassen. Die richtige Familienmutter, schreibt Jean-Jacques, ist in ihrem Haus nicht weniger eingeschlossen als eine Nonne in ihrem Kloster. Womit auch die Männer ihren Frieden bekommen. Denn in Wirklichkeit sehnt der Mann sich keineswegs danach, mit Frauen Unzucht zu treiben, vielmehr fühlt er sich von ihnen gedrängt, deren eigene Gier zu befriedigen, und das alles nur, um sie nicht in ihrem Stolz zu verletzen. Er wird zu ihrem Gefangenen, der ihnen alles recht machen will, sich selbst dadurch jedoch nur ins Unglück stürzt. Und all das nur, weil die Frauen uns so lange reizen, bis wir nicht mehr anders können, so wie Homers Kirke, die die Männer mit aller Macht anlockt und sie dann zu Schweinen macht, die vor Geilheit grunzen und sich nur noch im Dreck suhlen. Doch erst durch solche Weiber, schreibt Jean-Jacques, verwandeln wir uns in derartige Schweine.
    Wer das begriffen hat, so erklärt er dem Prinzen, kennt fortan das Gute und hasst das Böse. Und Jean-Jacques erinnert ihn daran, dass das alles nicht nur in seinem Emile , sondern bereits im fünften Buch Mose steht, wo es heißt, dass in den Städten Frauen, die vergewaltigt wurden, zusammen mit den Männern bestraft werden, da sie selbst schuld sind, wenn sie sich an öffentlichen Orten herumtreiben. Nur auf dem Dorf, wo jeder jeden kennt, lässt das Übel sich an der Wurzel bekämpfen. Denn in der Stadt, so weiß Jean-Jacques aus reichlicher Erfahrung zu berichten, leben die Frauen zügellos, wollen nur wenige Kinder gebären und sorgen dadurch dafür, dass die Menschheit allmählich ausstirbt.
    Eines Mittags klopft es an der Tür. Thérèse öffnet. Ein junger Mann in scharlachrotem Rock mit Goldborte, einem Überrock aus grünem Kamelot mit hohem Kragen, pelzbesetzten Ärmelaufschlägen, Beinkleidern und Stiefeln steht vor ihr. In schlechtem Französisch fragt er, ob ihr Herr da sei. Nein, antwortet Thérèse und will ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, als von oben ein Husten zu hören ist.
    Müssen Sie ihn vor der Welt wegsperren?, fragt er und drückt die Tür mit sanfter Entschiedenheit wieder auf. Als er mit einem Bein im Flur steht, drängt Thérèse ihn mit einer Kraft zurück, die ihn beinahe erschreckt, aber auch noch kühner macht. Vornehm scheint es hier nicht zuzugehen, flüstert der junge Herr, man hat es offenbar mit handgreiflichen Leuten zu tun.
    Lord Marischal ist mein Freund, ruft er an der resoluten Haushälterin vorbei ins Haus hinein.
    Dann kommen Sie herein, ruft eine Stimme zurück.
    Oben auf der Treppe steht ein Mann mit Schlafmütze und orientalischem Kaftan. Der Fremde rennt sofort hinauf, nimmt drei Stufen auf einmal, greift Jean-Jacques unter den Arm, schaut zu Thérèse hinab und erklärt: Endlich bin ich bei Ihnen, Sie sind unsterblich.
    Ich lasse Sie nur herein, sagt Jean-Jacques, weil Lord Marischal der einzige Mensch ist, dem ich zu danken habe.
    Auch ich darf mich rühmen, ein Schotte zu sein, bin vierundzwanzig Jahre alt, adliger Abstammung und auf Kavaliersreise durch das alte Abendland. Vorgestern habe ich noch in Basel im Hotel Dreikönig mit Casanova zu Abend gespeist, der Sie auch zu kennen behauptet.
    Mag sein, nickt Jean-Jacques.
    Ich weiß, Sie lassen kaum jemanden ins Haus, was ich bestens verstehen kann, am Ende hätten Sie hier einen Taubenstall, fürs Denken bliebe da nicht mehr viel Zeit, und was hätte die Welt dann noch von Ihnen, vor Schwätzern muss man sich schützen, auch ich würde niemanden hereinlassen und will Sie überhaupt nicht stören, James Boswell ist mein Name, ich werde auch nie wiederkommen, außer Sie wünschten es.
    Als Jean-Jacques etwas bemerken will, umklammert Boswell fest seine Hand, wie um ihm zu bedeuten, dass er gleich an der Reihe ist, und fährt fort: Ich bin ein Mann von lebhaftem Verstand, auch ein bisschen schwermütig, wie alle denkenden Menschen, die sich fragen: Wer bin ich eigentlich? Vielleicht können Sie es mir sagen, ich habe schon in Edinburgh an der Universität verkündet: Es gibt nur zwei Männer, die der Welt etwas zu sagen haben. Rousseau und Voltaire.
    Entschuldigen Sie, versucht Jean-Jacques ihn nochmals zu unterbrechen, doch Boswell will keinen Widerspruch hören und redet nur umso schneller: Ich bin gerührt und ganz aufgewühlt, ich bin ein schlichter Mensch, trotz meines Adels und trotz meiner Jugend, ich muss Sie Dinge fragen, die nur Sie mir beantworten

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