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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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ändert. Jean-Jacques’ an einen Befehl grenzende Aufforderung, die Tochter ausschließlich von einer Gouvernante und akribisch ausgewählten Bediensteten aufziehen zu lassen, will der Prinz jedoch nicht nachkommen. Er und seine Frau, wagt er Jean-Jacques entgegenzuhalten, würden alle Zeit der Welt besitzen, um sich ihrer Kinder anzunehmen, ganz abgesehen davon, dass sie sich nicht das göttliche Recht nehmen lassen wollten, sie selbst zu erziehen.
    Jean-Jacques ist nahe daran, die Korrespondenz wieder abzubrechen. Er hält es für fatal, dass die beiden so denken, und kann ihnen nur davon abraten. Weil der Prinz ihm aber versprochen hat, ganz Württemberg nach seinen Grundsätzen zu revolutionieren, ist Jean-Jacques ausnahmsweise bereit, über dessen Renitenz großzügig hinwegzusehen. Der Prinz bedankt sich dafür und schreibt ihm, die Weltgeschichte kenne nur drei Menschheitserzieher, nämlich Sokrates, Jesus und Rousseau, der von nun an zwischen diesen beiden sitze.
    Jean-Jacques widerspricht ihm nicht und sorgt dafür, dass dieser Brief nicht in der Schublade verschwindet, sondern das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
    Im nächsten Brief schreibt der Prinz ihm: Sie besitzen eine unendlich liebenswürdige Seele. Was wiederum Jean-Jacques in seiner Antwort zu der Bemerkung veranlasst: Nie gab es ein weniger eitles Lebewesen als Sie.
    Dennoch muss er den Prinzen noch einmal unmissverständlich daran erinnern, dass es keinerlei Mittelweg zwischen der üblichen Erziehung und der einzig richtigen gibt und ein Prinz beim besten Willen kein guter Vater sein kann.
    Worauf wiederum der Prinz erklärt, er habe sich nach einem aufgewühlten Leben zur Ruhe gesetzt, um ganz und gar nach den Prinzipien des Jean-Jacques Rousseau zu leben, wozu auch gehöre, ein idealer Vater zu werden.
    Als es Schwierigkeiten beim Stillen gibt, schreibt der Prinz nach Môtiers: Es ist absonderlich, dass eine so zärtliche Mutter so hübsche und so stiefmütterliche Brüste zugleich besitzen kann. Ich bin mehr als nur verärgert mit ihr, da ich mir sicher bin, dass die Kleine eine gleich große Lust hätte, an ihnen zu saugen, wie ich Lust habe, sie tausendfach zu küssen.
    Jean-Jacques schreibt zurück: Was diese hübschen Brüste betrifft, so reden Sie wie ein eifersüchtiger Ehemann, der sie sich frisch erhalten will.
    Der Prinz wehrt sich und behauptet, keusch wie kein anderer zu sein. Was denken Sie über mich, empört er sich, ich habe alles aufgegeben, jede Art von Vergnügen, alle Größe, allen Stolz, alles Vermögen, und bedaure nur, nicht noch größere Opfer gebracht zu haben, die meiner Geliebten würdig wären.
    Worauf von Jean-Jacques die Antwort kommt: Das ist gut so, denn die Lüste der Ehe sind etwas Vergängliches und machen weder das Glück eines Vaters noch das eines Gatten aus. Im Übrigen müsse man Mädchen und Jungen so lange wie möglich voneinander trennen, jeden ihrer Schritte überwachen und dürfe nichts dem Zufall überlassen, nur so könnten sie ihr wahres Wesen entfalten und zu wahrer Freiheit gelangen, wozu vor allem gehöre, dass man ihnen niemals etwas von Paris erzähle, ihnen das Bücherlesen verbiete und ihnen nur eine natürliche Musik vorspiele. Des Weiteren dürften Männer alles andere als Perückenmacher und Frisöre werden. Nichts Widerlicheres und Widernatürlicheres für einen Mann, schreibt Jean-Jacques, als Perückenmacher zu sein. Und so wie Bücher die Fantasie erhitzten und uns Gedanken einflüsterten, die nicht die unseren seien, so bringe uns auch der Anblick des anderen Geschlechts durcheinander. Alles, was von außen komme, entspreche nicht unserem wahren Ich und nehme ihm seine Unschuld.
    Vor allem die Frauen, erklärt Jean-Jacques, wecken in uns Männern Begierden, die wir von Natur aus gar nicht besitzen. Denn es sind nicht die Triebe, die uns treiben, sondern Bilder von draußen, die sich uns aufdrängen und in eine Erregung versetzen, der wir kaum Herr werden können. Woraus folgt, dass wir uns von den Frauen absondern müssen, da einzig sie von Natur aus ein maßloses Verlangen umtreibt und sie deshalb die eigentlichen Verführer sind. Weil Frauen begehrt werden wollen, um sich selbst zu fühlen, können sie Männer nicht in Frieden leben lassen. Was auch der Grund dafür ist, dass ihnen die Natur ein größeres Schamgefühl mitgegeben hat. Hätten sie dieses Schamgefühl nicht, würden sie zügellos durch die Straßen ziehen, ohne noch Grenzen zu kennen. Woraus zu schließen ist,

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