Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Fenster. Innen empfing sie ein heller freundlicher in Gelb gehaltener Raum wie der Außenanstrich des Hauses. Niemand war zu sehen. Hinter der geschwungenen Steintheke lag linksseitig ein Büro, aber auch das war leer. Sie warteten eine Weile und studierten die ausgelegte Weinkarte. Hin und wieder räusperten sie sich abwechselnd, um eine eventuell vorhandene Person in dem rechts seitlich der Theke angrenzenden Verkaufslager auf sich aufmerksam zu machen. Anke warf einen Blick durch die geöffnete Tür. Sie hegte die schwache Hoffnung, Leonie zu entdecken. Und tatsächlich erschien sie in diesem Moment. Bingo, durchzuckte es Anke. Ihre Blicke trafen sich wie gegenseitig abgeschossene Pfeile. Obwohl Anke ihre Kappe tief ins Gesicht gezogen trug, schien Leonie sie sofort erkannt zu haben. Für Sekunden schien sie zu zögern weiterzugehen, ehe sie daraufhin mit entschlossenen Schritten herankam. Über ihrer Jeans trug sie ein weites dunkelblaues T-Shirt, das von ihrer Figur nicht das Geringste erahnen ließ. Was sie wohl denken mag, durchfuhr es Anke. Sie hörte Wolf neben sich die Luft einziehen.
„ Wir möchten einige Kartons Wein mitnehmen“, sagte er auch sofort, nachdem Leonie den Verkaufsraum betreten hatte. Anke konnte den Blick nicht von dieser Frau wenden. Forschte in ihren Augen. Aber diese verrieten nichts.
Der Weinkauf erledigte sich schneller als es Anke lieb war. Angestrengt dachte sie darüber nach, was sie aus dieser Situation herausholen könnte oder wollte? Ja, was wollte sie überhaupt? Sie hatte sich gewünscht, dieser Leonie zu begegnen, und dann? Wolf drückte ihr einen der vier Weinkartons in die Hände und deutete mit seinem Blick an, schnellstens den Laden zu verlassen. Rasch griff er sich die restlichen drei aufeinandergestapelten Kartons. Am Wagen angekommen, legte Anke ihren Karton aufs Dach. Drehte sich um, ehe Wolf etwas sagen konnte, und eilte zurück in den Weinverkauf.
10
Sie stand hinter der Verkaufstheke und hatte ihnen vermutlich nachgeschaut.
„ Hallo, ich bin’s noch mal“, probierte Anke den Einstieg und versuchte, aus dem Gesicht dieser Winzertochter etwas zu lesen. Leonie nickte nur kurz. Gemächlich verließ sie daraufhin ihren Platz hinter der Verkaufstheke und machte sich, wohl mehr aus Verlegenheit, wie Anke vermutete, mit abwartender, ausdrucksloser Miene an den Weinauslagen zu schaffen. Anke beobachtete sie eine Weile schweigend, während sie versuchte, sich gedanklich für die bevorstehende Situation zu sensibilisieren. Ihr Blick wanderte dabei über Leonies streng nach hinten zu einem Pferdeschwanz gerafften Haare, wodurch die ebenmäßige Schönheit ihres Gesichtes besonders hervorstach. Die sanft gebräunte Haut zeigte nicht eine Unreinheit und war so glatt und prall wie die einer Traube. Anke tat sich schwer, das gewünschte Einfühlungsvermögen aufzubringen. Ich bin unverbesserlich, dachte sie. Frau Rosskamp! Wie haben Sie das mit dem fliegenden Stein gemacht, hörte sich Anke in Gedanken schon fragen. Beinahe hätte ihre Dreistigkeit gesiegt, als Journalistin Fragen herauszuschmettern, damit andere ihr nicht zuvorkommen konnten. Sie zwang sich, die Sache gelassen anzugehen. Zunächst scheinbar, dann aber mit Interesse betrachtete sie das handgemalte Etikett einer auf der Theke ausgestellten Weinflasche. Es zeigte Rosskamps Weinterrassen mit einem Blick in die Weinberge.
„ Sehr schön, das Etikett hier. Wissen Sie, wer das gemalt hat?“ Ihr Blick glitt zu Leonie. Anke glaubte, eine flüchtige Röte in ihrem Gesicht zu bemerken.
„ Ich.“
Das Wort hallte durch den Raum.
„Aaach“, rutschte es Anke erstaunt und erfreut heraus. Leonie hatte ihr soeben den Spielball zugeworfen. Glücklich darüber, endlich zu wissen, wo sie ansetzen konnte, fuhr sie sogleich bewundert fort. „Sie haben Talent. Wirklich. Malen Sie auch Bilder?“ Anke sah ein leichtes Aufblitzen in Leonies Augen.
„ Hin und wieder, wenn der Wein es zulässt?
„ Der Wein?“, fragte sie rein rhetorisch nach, obwohl sie wusste, was Leonie ausdrücken wollte. Aber Anke war jedes Mittel recht, das die Konversation in Gang hielt. Jetzt huschte auch über Leonies Gesicht ein breites Lächeln. „Das Wort Wein ist der Überbegriff für alles, was mit seiner Herstellung zusammenhängt, und die erfordert viel Arbeit.“ Leonie blickte zum Fenster. „Ich glaube, Ihr Mann wartet auf Sie.“
Anke drehte sich um. Wolf stand mit leicht vorgebeugtem Körper direkt hinter der Scheibe,
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