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Wir beide nahmen die Muschel

Wir beide nahmen die Muschel

Titel: Wir beide nahmen die Muschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Hendrix
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werde da nicht der Einzige sein, das haben Millionen
Pilger vor mir auch getan. Wie oft habe ich mir die Frage gestellt, ob er auch
wirklich dort bestattet ist? Dies ist heute für mich völlig uninteressant, ich
werde heute das zweite Grab eines Apostels Christi besuchen, nachdem ich im
letzten Jahr nach 220 km Fußmarsch mit vielen bösen Blessuren das Grab des Hl.
Matthias in Trier besucht hatte. Lieber Jakobus, du hast uns auf 800 km über
hohe Berge bei Schnee, Sonne und Regen geleitet. Halte bitte auch heute deine
Hand über uns, damit wir an meinem Geburtstag dein Grab erreichen werden, dies
wäre für mich das schönste Geschenk. Um 0:30 Uhr in der Nacht hatte Helga mich
geweckt und mir zu meinem 67. Geburtstag gratuliert. Sie schenkte mir eine
Flasche Sekt mit den Worten, »diese werden wir heute gemeinsam trinken, wenn
wir unser Ziel erreicht haben.« Um 5:00 Uhr wurde ich erneut geweckt, ein
großes Rhinozeros war bei der Arbeit. Als mir die Störung zu laut wurde, habe
ich einmal sehr fest in die Hände geklatscht und siehe da, das Untier verkroch
sich und es war Stille. So nach und nach machten alle Pilger sich fertig und
verließen das Haus. Meine Partnerin hatte ich bis um 6:45 Uhr schlafen lassen.
Wir packten unsere Rucksäcke, dabei fiel mir im letzten Moment meine
Sektflasche ein. Ich habe sie gut umwickelt und mit hineingesteckt. Hoffentlich
kommt sie gut am Ziel an. Wir stellten unser Gepäck an der Rezeption ab,
überprüften noch einmal die Banderolen und verließen um 7:45 Uhr das Haus.
Helga hatte sich gestern Abend den Ort angesehen und dabei einen Konditor
ausfindig gemacht. »Komm Geburtstagskind ich lade dich zum Frühstück ein.« Sie
hatte mir nicht zu viel versprochen, was wir uns zum Essen ausgesucht hatten
war absolute Spitze, nur das Gesicht der Bedienung sah nach zehn Tage Regen
aus. Nun wurde es aber Zeit, 23 km warteten noch auf uns. Es sah stark nach
Regen aus, es war noch kühl und ich hatte mir zur Vorsicht den Anorak
angezogen. Meine Partnerin war mutiger und hat auf ihren verzichtet. Wir folgen
den gelben Pfeilen und kamen nach einer halben Stunde durch San Antón. Der Weg
war neu angelegt und sehr gut zu gehen. In Amenal wurde mir mein Anorak schon
zu warm. Eine Wegmarke zeigt uns an, noch zwölf Kilometer bis zur Kathedrale.
Viele Pilger waren heute unterwegs. Ich denke sie gehen genau wie wir voller
Freude diese letzte Etappe. Für manch einen wird es der letzte Pilgertag sein.
Wir werden nach drei Ruhetagen weiter gehen nach Muxia und Finisterra, das so
genannte Ende der Welt. Im Moment begeisterte ich mich wieder an den sehr hohen
Eukalyptusbäumen. Sie verströmten einen wunderbaren Duft. Nach acht Kilometer
das erste Café, Grund für uns eine kleine Pause einzulegen, ein kleines
Getränk, dann geht es weiter. Der Waldweg ging nun steil bergauf. Noch einmal
zeigte sich der Camino von seiner ländlichen, ruhigen Seite. Wir können das Ziel
unserer Wallfahrt schon fast mit den Händen greifen. Auf einer Anhöhe verlassen
wir den Wald und stoßen auf den Flughafen. Wir umrundeten die Landebahn, hier
ist im Moment eine riesige Baustelle. Wir möchten nun auch keine Pause mehr
machen. Unterwegs trafen wir zwei bekannte Pilgerinnen und gingen gemeinsam mit
ihnen weiter. Helga musste einmal in die Büsche, als sie zurückkam, zog sie ein
vier Meter langes Plastikrohr hinter sich her. Schaut mal was ich hier gefunden
habe, da können wir in Santiago unsere Urkunden reinstecken, dass reicht für
uns alle. Wir haben uns köstlich amüsiert. Wir kommen nach Lavacolla. Die
Pilger im Mittelalter hatten sich hier an einem kleinen Bach gründlich
gewaschen, um sauber und wohlriechend am Grab des Apostels zu erscheinen. Wir
gingen weiter bergauf nach Villamaior, durchwandern eine lichte Hochebene und
erreichen das Einzugsgebiet von Santiago. Unser nächster Ort war San Marcos. Er
ist festlich geschmückt wie zu einem Schützenfest. Aber es ist kein Fest, der
Pilger wird hier herzlich empfangen. Kurz darauf erreichten wir die Höhe des
Berges Monte do Gozo den »Berg der Freude«. Wir hatten Glück mit dem Wetter,
eine gute Fernsicht und sahen die Stadt in ca. zehn Kilometer Entfernung vor
uns liegen. An der rechten Seite erkannten wir die Türme der Kathedrale. Wenn
französische Pilgergruppen den Weg gehen, veranstalten sie auf den letzten
Metern einen Wettlauf zu diesem Gipfel, denn wer als erster oben ankommt ist
der »König« unter seinen Pilgergefährten. Millionen von

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