Wir beide nahmen die Muschel
ergriffen verlassen. Wir erkundigen uns noch
einmal bei einer Kirchenaufsicht, ob das Fass am Abend geschwenkt würde, sie
hat zustimmend genickt. Als wir kurze Zeit später die Kirche verlassen, steht
draußen eine Touristenbimmelbahn bereit für eine dreiviertelstündige
Stadtbesichtigung. »Komm Helga, das ist genau das Richtige für uns. Wir kennen
nur das direkte Umfeld der Kathedrale, damit lernen wir endlich die Schönheiten
der Stadt kennen.« Es war eine Rappelfahrt über das viele Kopfsteinpflaster,
aber sie hatte sich gelohnt. Wir bekamen die historische Stadt Santiago mit all
ihren alten Palästen und herrlichen Kirchen zu sehen, leider waren die
Erklärungen auf Spanisch. Jedes fünfte Wort war »Apóstol«. Vom Apóstol scheint
hier die halbe Stadt gut zu leben. Wenn Helga ihre Scherze machte, sagte sie,
das ist vom Apóstol und das ist vom Apóstol. Wir haben sehr darüber gelacht.
Beim Aussteigen machte mir mein Magen einige Drohgebärden. In einem etwas
abseits gelegenen Restaurant bekamen wir für 8,00 Euro ein gutes Menü mit einer
Flasche Wein. Nun sitzen wir hier auf dem Kathedralsplatz bei 28°C in der Sonne
bei leichtem Wind und genießen unseren letzten Tag in Santiago. Wie immer hatte
ich auch heute vergessen mich einzukremen. Meine Nase sieht vor lauter
Sonnenbrand schon bald wie eine Rübe aus. Morgen geht es weiter, hoffentlich
wird es nicht noch wärmer. Um 18:00 Uhr betreten wir wieder die Kathedrale. Die
Pilger sind erheblich mehr geworden. Zum Nachmittag erreichen sie ihr Ziel und
der erste Weg ist natürlich zum Apostel. Alle Bänke sind noch unbesetzt. Wir
setzten uns in der ersten Reihe und warteten der Dinge die da hoffentlich
kommen werden. Der Uhrzeiger ging viel zu langsam nach vorne. Mein Hinterteil
wurde auf der harten Bank sehr unruhig, nur Helga saß ruhig da, fast wie
angewachsen. Viele Pilger, welche nachher hinter uns saßen quatschten
miteinander sehr laut in allen Sprachen der Welt. Ich habe den Eindruck, sie
sind auf einer falschen Veranstaltung. Nach einer halben Stunde waren die
ersten Reihen gut gefüllt. Nun wurden auch die anderen Pilger aufmerksam. Hatte
es sich vielleicht rum gesprochen, dass der Botafumeiro geschwenkt wird? Kurze
Zeit später waren alle Bänke besetzt. Eine halbe Stunde vor der Messe wurde der
Altarraum mit Seile abgesperrt. Viele spanische Männer kamen mit Anzug und
Krawatte und setzten sich in separate Bänke im Altarraum. Die Spannung wächst
ins unendliche. Eine deutsche Pilgerin sitzt neben mir, sie wohnt in einer
Albergue in der Innenstadt.
Letzte Nacht
hatte ich kaum Schlaf gefunden, so laut war es auf den Straßen. Die Mitarbeiter
der Banken feierten mit der Bevölkerung ein Fest und das fast bis zum frühen
Morgen. Die Banken hätten auch die Schwenkung des Rauchfasses jetzt in der
Abendmesse bezahlt. Plötzlich kommen vier Männer in braunen Kutten von der
linken Seite, lösen am Pfeiler das Seil des Fasses und lassen es herunter. Von
der rechten Seite tragen vier Männer das Rauchfass zum Altar, es wird von ihnen
sorgfältig angebunden und einige Meter hochgezogen. Nun konnte nichts mehr
schief gehen. Die Kirche ist nun bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich denke,
dass bestimmt Vierhundert Personen nur noch einen Stehplatz bekamen. Die Norme
mit der herrlichen Stimme betritt sehr bescheiden den Altarraum und probt mit
den Gläubigen drei kurze Choräle ein, heute in Latein und so können wir
mitsingen. Die folgende Messe war sehr feierlich aber leider auf Spanisch. Nach
der Kommunion war es dann so weit. Das Fass wurde heruntergelassen und mit
einer großen Pfanne glühenden Weihrauchs gefüllt. Es ist fast mannshoch, es
wird nun von acht Männern an starken Seilen in Schwingungen versetzt. Mit jedem
Zug an dem Seil schwingt es höher zur Decke, zum Schluss ist es nur noch einen
halben Meter von ihr entfernt. Es schwenkt auf einem Radius von fünfzig Metern
durch das Querschiff. Es ist in Flammen gehüllt und die Funken fliegen in alle
Richtungen. Während der ganzen Zeit spielte die Orgel eine begleitende Melodie.
Es war für alle Anwesenden, aber besonders für uns, ein sehr ergreifender
Moment. Nun haben auch wir es erlebt, wie viele Pilger kommen hier an und es
ist ihnen nicht vergönnt? Von diesem Erlebnis werden wir noch lange erzählen können.
Helga war in Tränen aufgelöst. Ihr verstorbener Vater hatte sie immer wieder
bei ihrem Wunsch diesen Weg zu gehen unterstützt. Leider hatte er es nicht mehr
erleben dürfen.
Weitere Kostenlose Bücher