Wir beide nahmen die Muschel
»Schau mal Heinz was ich in meiner Hand halte, es ist ein
Taschentuch meines verstorbenen Vaters, ich habe es nur für diesen Moment von
zuhause aus mitgenommen, er war in diesem Moment ganz nah bei mir und hat das
miterlebt.« Ich bin sehr stolz auf meine Mitpilgerin. Es hatte sich also
gelohnt, einen Tag länger in Santiago zu bleiben. In der Kirche hatten wir von
einer Pilgerin eine Landkarte mit allen wichtigen Hinweisen von Finisterre
geschenkt bekommen. Wir haben gute Verwendung dafür, morgen Früh geht es
weiter. Kurz vor dem Ausgang standen plötzlich Helen und Terry neben uns. Noch
lange haben wir in der fast leeren Kirche zusammen gestanden und erzählt. Erst
heute erfuhren wir von Helen, dass sie im Alter von 53 Jahren noch ein Mädchen
bekommen hatte. Wir gingen mit ihnen zur verschlossenen »Heiligen Pforte«. Ich
zeigte ihnen, wie man mit den ausgestreckten Armen die beiden Außensäulen der
Tür berührt, so wie es auch der Papst im letzten heiligen Jahr gemacht hatte.
Als wir gehen wollten war das Hauptportal schon verschlossen, wir konnten die
Kirche aber durch einen Seitenausgang verlassen. Als wir raus kamen war es für
uns ein allerletzter Abschied für immer. Wochenlang waren wir zusammen gewesen.
Wie viel Freude hatten wir zusammen erlebt? Wir können es noch gar nicht
fassen, dass dies nun alles vorbei sein sollte. Sie wollten noch ein paar Tage
in Santiago bleiben und dann zurück nach Australien fliegen. Sie mussten uns
versprechen, wenn sie einmal nach Deutschland kommen würden, müssten sie uns
unbedingt besuchen. Sie könnten bei Helga wohnen und ich würde ein tolles
Besichtigungsprogramm für sie zusammenstellen. Unser Abschied ging nur unter
Tränen, zu sehr hatten wir sie in unser Herz geschlossen. Ich glaube nicht,
dass wir sie noch einmal wieder sehen werden. Diese Pilgerreise wird bestimmt
ihre gesamten Ersparnisse gekostet haben. Wir kaufen uns eine Kleinigkeit zu
essen und fahren mit dem Bus zurück. Ich sitze nun mit meiner Partnerin im
Aufenthaltsraum der Albergue und wir überlegen welchen Ort wir zuerst
ansteuern, Muxia oder Finisterre, sie ist für Muxia. Wenn wir schon zum Ende
der Welt gehen, dann kann das nur unser letztes Ziel sein. Sie hat Recht, so
werden wir es machen. Morgen geht es früh los, hoffentlich verschlafen wir uns
nicht und hoffentlich denke ich morgen an meine Sonnencreme, es wird bestimmt
wieder sehr heiß werden. Ich habe noch meinen Bericht fertig geschrieben. Es
ist schon 23:00 Uhr und ich hoffe, dass meine Partnerin schon schläft.
Santiago de Compostela — Negreira
25,1 km, 480
m Aufstieg, 550 m Abstieg
Freitag, den
3. Juni 2011
L eider
mussten wir heute schon sehr früh aus den Federn, es wird bestimmt ein langer
und schwerer Tag werden. Schon um 5:30 Uhr war unsere Nacht zu Ende. Zum Glück
hatten wir gestern Abend schon vorgepackt. Wir hatten den Rest in unsere
Rucksäcke gepackt und danach in Ruhe gefrühstückt. Um kurz vor sieben Uhr
starten wir zu unserem neuen Ziel. Es war noch wunderschön kühl und wir konnten
einen schnellen Schritt vorlegen. Den Weg zur Kathedrale brauchen wir nicht zu
erfragen. Nach 45 Minuten hatten wir sie erreicht. Die gelben Pfeile sind nun
wieder unsere Wegbegleiter. Wir gehen durch eine schöne Grünanlage mit einem
alten Eichenbestand. Unser Weg geht leicht bergab vorbei an einigen verfallenen
Häusern. So schön wie die Tage in Santiago für uns waren, so gerne gehen wir
heute weiter. Ich denke mein Rucksack wird bestimmt drei Kilogramm leichter
sein, Helga hat mehr als das doppelte zurück gelassen. Ich merke im Moment kaum
einen Unterschied zu vorher. Den Fluss Río Sarela haben wir überquert. Der Weg
verläuft nun entlang der Uferpromenade, wo immer wieder Stege den schmalen
Wassergraben des Flusses überbrücken. An einer Wegkreuzung bekommen wir den
Hinweis nach Finisterre. Wir haben das Stadtgebiet verlassen. Durch einen
kleinen Wald gelangen wir nach einer halben Stunde nach Sarela do Baixo. Wir
schauten zurück und hatten einen sehr schönen Blick auf die Kathedrale von
Santiago. Wie mag es wohl Helen und Terry heute gehen, sie wollten ja noch
einige Tage bleiben? Ich hatte ihnen meine Anschrift und E-Mailadresse gegeben.
Wir hoffen, dass sie sich bei uns noch einmal melden. Heute waren nur noch sehr
wenige Pilger unterwegs, die meisten werden ihren Weg in Santiago beendet
haben. Wir wollen versuchen in drei Tagen Muxia zu erreichen. Wir kommen durch
einen größeren Wald mit hohen
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