Wir beide nahmen die Muschel
einer halben Stunde
hatten wir eine Höhe von 913 Meter erreicht. Wir waren wieder auf der Hochebene
und es boten sich uns sehr schöne Blicke zurück nach Castrojeriz und über die
Tafelberge gegenüber, zur anderen Seite über weite Getreidefeldern. Die Länge
des Aufstieges war ein Kilometer lang und hatte eine Steigung von 12 Prozent.
Ein neuer Unterstand bot sich uns an und wir machten unsere erste Pause. Das
noch keiner auf die Idee gekommen ist, hier Getränke anzubieten, es würde sich
für einen Rentner bestimmt lohnen. Sie brauchten noch nicht einmal gekühlt zu
sein. Jeder Pilger sehnt sich hier nach dieser Steigung nach einer Erfrischung.
Wunderschön von hier oben anzusehen, wie die aufgehende Sonne an vielen Stellen
ihre Strahlen durch die Wolkenlücken nach unten ins Tal schickt und einzelne Feldparzellen
in hellem Licht erstrahlten lässt. Keine Kamera ist in der Lage, diese Pracht
im Bild festzuhalten, das vermag nur das menschliche Gehirn und das empfindende
Herz. Der Blick auf Castrojeriz war sehr schön, nur die vielen Windrädern auf
den Hügeln zur rechten Seite trüben etwas den Blick. Viel zu viele stehen davon
hier in den Bergen. Aber ich denke, dass nach dem Reaktorunfall in Japan auch
bei uns in Zukunft noch viele solcher Anlagen aufgestellt werden ohne Rücksicht
auf die Natur oder den Protesten der Anwohner. Die Hochebene war nicht sehr
groß. Helga tat mir den Gefallen und wir warteten so lange, bis ich den immer
mehr fortschreitenden Sonnenaufgang fotografiert hatte. Bald ging es wieder
runter ins Tal. Der Weg hatte 18 Prozent Gefälle, es war ein neuer Betonweg mit
aufgerauter Oberfläche. So kamen wir sicher nach unten. Meine Begeisterung ist
kaum noch zu steigern, die wunderschönen Wolken haben es mir angetan. Dafür ist
die Meseta genau der richtige Ort. Jede viertel Stunde ein anderes Wolkenbild.
Ich weiß nicht wie viele Bilder ich bis jetzt schon mit meiner Kamera
aufgenommen habe. Da werde ich mich zuhause noch sehr oft dran erfreuen.
Besonders schön sieht es aus, wenn ein starker Wind die Wolken vor sich her
treibt. Auch etwas ganz neues gab es heute zu bestaunen, blühender Rosmarin.
Wir wollten es zuerst nicht glauben. Er blühte mit einer kleinen blauen Blüte.
Ob alle Pilger dies gesehen hatten? Ich glaube, man muss einfach ein Auge für
die Natur haben. Zum ersten Mal sahen wir Kornblumen am Wegesrand. Etwas
kleiner in der Blüte wie bei uns. Überall Klatschmohn, leider nicht in solchen
Massen wie das Internet zeigte. Der Weg was sehr gut, breit und mit Kies und
Geröll angewalzt. Aber es gab auch sehr negative Seiten, welche ich nicht verschweigen
möchte. Diese verdammten kleinen Fliegen. Ich hasse sie. Sie sind mir sehr gut
bekannt von unserem Friedhof. Wenn ich das Grab meiner Eltern pflege, habe ich
diese Ungeheuer immer im Gesicht. Diese hier waren noch lästiger, sie landeten
nur auf meine Augen oder meinen Mund. Ich lasse meine Gedanken schweifen.
Tausend Jahre gehen Pilger hier diesen Weg, wie viele haben ihr Leben lassen
müssen. Ob diese Fliegen mich daran erinnern möchten wie vergänglich auch mein
Leben ist, ich weiß es nicht. Manche mögen über meine Zeilen schmunzeln aber
ich lasse sehr gerne meine Gedanken schweifen. Leider vermisse ich heute sehr
meine Lerchen, wie abgeschnitten ist ihr Gesang. Wie hatten sie mich Gestern
noch mit ihrem Gesang erfreut. Nun sind wir schon wieder vier Stunden durch die
Meseta geschritten, oft schweigend aber auch oft in Gesprächen vertieft. Wenn
wir schweigend gehen sind unsere Gedanken nicht immer erfreulicher Natur, auch
fließt manchmal eine Träne ganz unbewusst. Manchmal öffnet man sich wildfremden
Menschen ganz weit und erzählt ihnen seine tiefsten Sinne. Genauso gut aber
auch umgekehrt. Viele sind sehr dankbar für einen guten Rat, manche gehen
danach schweigend weiter. Heute bekam ich von meiner Mitpilgerin mein Fett ab.
Ich hatte ihr geraten zweieinhalb Liter Wasser mitzunehmen, sie verbrauchte nur
einen Liter am Tag. »Warum muss ich alles schleppen wenn es nicht nötig ist«,
sagt sie mir sehr oft. Sie ist für mich ein Phänomen. In der Nacht, wo der
Körper eigentlich eine Ruhezeit benötigt, wird sie wach und trinkt große Mengen
Flüssigkeit, am Tage ist sie damit sehr sparsam. Ich lass mich von ihr nicht
verrückt machen, 2,5 Liter Wasser sind für einen normalen Menschen das Minimum
in der Meseta. Fast alle Brunnen sind auf Grund der Unmengen verbrauchter
Pestizide ungenießbar. Alle sieben
Weitere Kostenlose Bücher