Wir Ertrunkenen
Rollstuhl mit hoher Rückenlehne am Fenster. Allem Anschein nach schlief der Mann, aber als er den Gruß der Dolmetscherin hörte, erwachte er und sah sich schlaftrunken um. Er war in eine Decke gehüllt, die den größten Teil seines Körpers bedeckte, doch Knud Erik sah, dass ihm der linke Arm fehlte. Das Gesicht war geschwollen und glühend rot.
Den Informationen nach, die Knud Erik erhalten hatte, befand sich der Mann seit vier Monaten im Krankenhaus; er konnte sich also ausrechnen, dass übertriebene Sonnenbäder nicht die Ursache dieser Gesichtsfarbe waren. Er befand sich in Russland. Auch in einem Krankenhaus floss der Wodka in Strömen.
Sein Gesicht verzog sich zu einem falschen Lächeln, als er Knud Erik erblickte, der seine Kapitänsuniform trug. Der Mann war eifrig bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen, was Knud Erik verstand. Er sehnte sich fort aus dieser Einöde von Molotovsk, zurück in die Zivilisation, wie zerstört sie auch sein mochte.
«Du bist Däne, höre ich», sagte der Mann mit einer rauen Stimme, als wäre es lange her, seit er das letzte Mal gesprochen hatte.
Knud Erik nickte. Er streckte die Hand aus und nannte seinen Namen. Der andere ergriff enthusiastisch die Hand, schien aber einen Augenblick zu zögern, als hätte er Zweifel bei seinem eigenen Namen oder überlegte, ob er einen falschen angeben solle. Dann nannte er ihn.
Knud Erik wandte sich an die Dolmetscherin, die mit einem wohlwollenden Lächeln um ihren sonst so verkniffenen Mund hinter ihnen stand; sie sah aus, als würde sie zwei Familienmitgliedern nach vielen Jahren der Trennung zum Wiedersehen gratulieren wollen.
«Sie können mit dieser Kreatur hier machen, was Sie wollen. Sie können ihn von mir aus mit in den Keller nehmen und auf der Stelle erschießen. Oder ihn nach Sibirien schicken oder wohin auch immer ihr hier in Russland unerwünschte Personen schickt, verdammt noch mal. Aber es gibt einen Ort, an den er nicht kommt, und das ist an Bord meines Schiffs.»
Knud Erik verließ das Krankenzimmer, ohne sich noch einmal umzusehen. Er patschte durch den Korridor, auf den die Putzfrau mit ihrem schier unerschöpflichen Wassereimer nun ihre Bemühungen verlegt hatte.
«Kapitän Friis!», rief die Dolmetscherin ihm nach, und wieder bewunderte er ihre perfekte Aussprache, auch seines dänischen Nachnamens.
Dann war er aus dem Krankenhaus heraus und begann zu Fuß nach Molotovsk zurückzulaufen. Er war ein gutes Stück weit gekommen und konnte bereits die niedrigen Holzhäuser der Stadt erkennen, als ein Auto ihm den Weg verstellte. Die Dolmetscherin trat auf die Straße. Erst jetzt bemerkte er, dass ein schwarzes Pistolenholster an ihrem Gürtel hing.
«Ich glaube nicht, dass Sie den Ernst der Situation verstanden haben, Kapitän Friis. Das war ein Befehl, den ich Ihnen gegeben habe. Sie haben keine Wahl.»
«Sie können mich meinetwegen erschießen», erwiderte Knud Erik ruhig und nickte in Richtung ihres Holsters, «und diese Missgeburt hinterher zum Ehrenbürger der Sowjetunion ernennen. Mir ist es egal. Aber an Bord meines Schiffs kommt er nicht.»
«Sie sollten aufpassen, was Sie sagen, Kapitän.»
Sie machte auf dem Absatz kehrt und stieg wieder in den Wagen, der wendete und zurück zum Krankenhaus fuhr.
Knud Erik kam an Bord der Nimbus und gab den Befehl, auf der Stelle auszulaufen.
Der erste Steuermann schaute ihn nachsichtig an.
«Das geht nicht, Kapitän. Wir brauchen erst Feuer unterm Kessel. Außerdem fehlen uns noch eine Unmenge Papiere. Die würden uns zurückholen.»
«Zum Teufel aber auch!»
Knud Erik begann auf der Brücke auf und ab zu gehen, während er ungeduldig das Unvermeidliche abwartete.
Es verging nicht mehr als eine halbe Stunde, bis ein Lastwagen auf dem Kai vor der Nimbus hielt. Auf der Ladefläche saß ein Mann in einem Rollstuhl mit hoher Rückenlehne. Die Dolmetscherin stieg aus der Fahrerkabine. Die Besatzung lief an der Reling zusammen und betrachtete den Mann, der einen Arm hob und ihnen zuwinkte.
«He, Leute!», rief er munter.
Die Dolmetscherin befahl zwei Besatzungsmitgliedern, den Mann zusammen mit seinem Rollstuhl von der Pritsche zu heben und ihn die Gangway hinaufzutragen. Als man ihn aufs Deck gestellt hatte, machte sie eine ironische Ehrenbezeigung vor Knud Erik.
«Er gehört Ihnen, Kapitän.»
«Er fliegt über Bord, sobald wir außerhalb des Hafens sind.»
«Das liegt ganz in Ihrem Ermessen, Kapitän.»
Sie drehte sich um und nahm sich wieder auf
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