Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
seinen langen Haaren, dem bauschigen Schnurrbart und dem unzeitgemäßen Hut komisch aus. Das war überladen, der Hutschmuck der Frau allein hätte gereicht. Trotzdem kam ihr das Motiv bekannt vor. Sie trat ein bisschen näher heran. Es erinnerte sie tatsächlich an ein Werk von Renoir. Die alten Meister wurden gern kopiert, doch das Ergebnis war meistens mehr schlecht als recht. Dies stammte offenbar von einem dieser Künstler, denen es nicht gelungen war. Wie auch immer, die beiden Bilder hingen einfach am falschen Platz. Sie hätte da lieber ein großformatiges, modernes Bild gesehen. Vielleicht einen Ola Billgren, eine Cecilia Edefalk oder auch einen Picasso. Schnell nahm sie die zwei Gemälde von der Wand, stellte sie auf ihren Putzwagen und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter in den Anbau.
Dort wurde gerade umgebaut, und in einem der unbenutzten Räume standen mehrere Bilder, die vor der Renovierung entfernt worden waren. Sie nahm jedes Werk unter die Lupe. Eins sah aus wie ein echter Chagall, und das größte, ein Aquarell in der Art eines Matisse, könnte an die Wand über dem Flügel passen.
Sie ließ die Gemälde aus der Lilian-Suite auf dem Putzwagen, klemmte die anderen unter den Arm und fuhr mit ihnen wieder nach oben. Erst hängte sie das eine, dann das andere Bild über den Flügel. Dann trat sie erwartungsvoll zurück. Ihre Augen leuchteten. Viel besser! Sie zog die Schnupftabaksdose aus ihrer Jeans und schob sich eine Portion in die Wange. Ihre Chefin würde Augen machen!
27
Als die fünf ihre Kabinen bezogen und sich ein Weilchen ausgeruht hatten, zogen sie sich um und gingen nach oben in den Speisesaal. Die Sache mit der Lösegeldforderung war ein bisschen unheimlich – unheimlich spannend war sie aber auch.
»Menü oder Büffet?«, fragte Märtha, als sie vor dem Speisesaal standen.
»Natürlich Büffet«, antworteten die anderen einstimmig und stellten sich bei den Leckereien an. Kratze und Stina standen nebeneinander und unterhielten sich, Märtha selbst begleitete Snille und Anna-Greta. Bevor sie nach oben gegangen waren, hatte Anna-Greta in der Kabine eine merkwürdige Frage gestellt. Umso überraschender, da sie im Moment doch ganz andere Sorgen hatten.
»Woran liegt es, dass Männer sich für bestimmte Frauen interessieren und für andere nicht?«, wollte sie wissen.
Märtha hatte versucht, die Sache mit Humor zu nehmen, doch dann merkte sie, dass Anna-Greta es bitterernst meinte.
»Man sollte gut gekleidet sein, fröhlich und aufgeschlossen«, sagte sie mit Blick auf Anna-Gretas Kleidung. Deren Rock, mattbraun und schwarz, dazwischen ein verwaschen grünes Muster, sah fast aus wie Tarnkleidung. Das einzig Gute daran war, dass er nicht auffiel.
»Gut gekleidet? Verstehe ich nicht«, sagte Anna-Greta mit Blick auf Märthas Gürteltasche.
»Ja, man muss natürlich entsprechend auftreten, sich schminken und ein bisschen flirten«, erklärte Märtha.
»Und du meinst, dass du das selbst tust?«
»Ich nicht, nein, aber so allgemein gesagt«, antwortete Märtha zögernd und dachte, es wäre eine gute Idee, wenn Anna-Greta jemanden kennenlernen würde, weil sie sich offenbar überflüssig vorkam. Zwischen Stina und Kratze schien etwas zu laufen, und sie selbst verbrachte ja die meiste Zeit mit Snille.
»Aber weißt du, was das Wunderbare an diesem Leben ist«, versuchte Märtha es noch einmal. »Man weiß nicht, was es für einen bereithält, und man darf die Hoffnung nie aufgeben.«
»Hast du noch mehr schlaue Sprüche auf Lager?«, schnaubte Anna-Greta, und Märtha verstummte auf der Stelle. Sie hatte sie doch nur ein wenig aufmuntern wollen. Und sie hätte unmöglich sagen können, dass Anna-Greta viel zu steif und zu korrekt war und lachte wie ein Pferd.
Nachdem sie das Essen mit einem Stück Torte beschlossen hatten, stieg Anna-Gretas Stimmung, und während sie im Speisesaal das zweite Glas Wein leerten, plauderte sie fröhlich drauflos und lachte wie immer. Märtha beobachtete ihre Freundin mit einem Gefühl der Erleichterung und nahm sich vor, sich künftig besser um sie zu kümmern. Äußerlich wirkte Anna-Greta immer so abgeklärt, doch natürlich hatte auch sie das Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung.
Nach dem Essen begaben sie sich in die Karaokebar. Vom Wein waren sie beschwingt, und die ehemaligen Chormitglieder verspürten unbändige Lust zu singen. Märtha trat auf die Bühne und begann mit Yesterday, während Kratze wie gewohnt ein Seemannslied sang. Sogar Anna-Greta
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