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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauer Nina
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heißt Stolpern. Und wer stolpert, der fällt.
     
    Die Musik setzt ein. Der Beat hämmert in Annas Bauch. Ihr ist schlecht. Der Laufsteg liegt vor ihr. Anna läuft perfekt.
    Heidi legt den Kopf schräg. Ihr Röntgenblick bleibt auf Annas Gesicht hängen. Anna würde sich gern was überziehen. Aber beim Bikini-Walk nach einem Handtuch zu fragen, wäre das Dämlichste überhaupt. Und Anna ist ja schließlich nicht prüde. Die Jury sieht ihre Gänsehaut zum Glück nicht.
    »Ann«, lächelt die amerikanische Topfotografin, der heutige Jurygast, »You’re just so gorgeous, girl! You’re just, like, so
awesome
! You have such great personality!«, sie strahlt in die Kamera, »All you gotta do is you gotta
show
it to the world! There’s nothing to be afraid of!«
    Heidi nickt zustimmend. Küsschen-Küsschen. Und noch das Foto.
    Anna weint dieses Mal erst im Hotelzimmer. Sie muss sich besser
zeigen
. Aber wie bloß? Wieso muss sie auch nur immer so ängstlich gucken? Pörsnääääääälidi, hallt die amerikanische Fotografinnenstimme durch ihren Kopf, you just gotta
show
it!
    *
    »Behalten wir die Metapher, die Sie beim letzten Mal benutzten, doch einmal bei«, sagt Herr G. zu Bastian, »Warum machen Sie beim Casting denn nicht einfach mit? Warum singen Sie nicht vor?«
    Bastian zuckt mit den Schultern.
    »Weil ich die alle eigentlich verachte. Die geklonten Mädels, diese Prolltypen, diese Stressleute.«
    »Warum verachten Sie sie?«
    »Weil sie nur noch Maschinen sind«, sagt Bastian angeekelt, »Die leben doch gar nicht mehr hinter ihrer Maske. Das ist doch pervers. Ich will nicht so ein Arbeitssklave werden wie die«, er lacht zynisch. »Außerdem ist mein Stück noch nicht vorführreif. Ich üb’ doch noch!«
    »Und wie lange gedenken Sie noch zu üben?«
    »Weiß nicht.«
    Bastian grinst überheblich. »Passen Sie auf, jetzt kommt noch eine Metapher für Sie: Ich liege auf dem Glatteis. Ich rutsch da seit Jahren hin und her. Und stoße einfach nirgendwo gegen. Nichts formt mich. Ich warte einfach. Bis irgendwann vielleicht irgendwas passiert. Vielleicht kommt irgendwann endlich jemand, der mir sagt, was ich tun soll. Der große Bestimmer.«
    Herr G. nickt langsam. Er notiert sich etwas.
    »Und was, wenn Sie das selbst wären?«, fragt er Bastian.
    »Naja, dann warte ich wohl auf mich«, antwortet Bastian, »Stimmt eigentlich: Ich warte auf mich.«
    »Ist das ein gutes Gefühl?«
    »Weiß nich. Es ist ja eigentlich ganz entspannt. Man kann viel Bier dabei trinken …«
    Herr G. wendet sich von Bastian ab. Er guckt aus dem Fenster.
    »… aber es ist schon so, dass es manchmal auch nervt. Ich kann mich halt so schlecht konzentrieren. Und sobald ich was anpacken will, machen es eigentlich alle schon besser. Der Vergleich macht alles kaputt. Da will ich nicht mitmachen. Dann zieh ich mich eben lieber zurück.«
    Herr G. schaut Bastian nun wieder direkt an. »Macht Sie das glücklich?«
    Bastian grinst.
    »Nöö, glücklich nicht. Aber eben auch nicht total unglücklich.«
    Herr G. schnaubt.
    Bastians Grinsen wird breiter. Sarkastisch. »Wir müssen Sie fertigmachen, oder?«, er sieht Herrn G. voller Mitleid an. »Wir sind Ihre Plage, oder? Wir armen, depressiven, ausbildungsmüden Akademikerkinder.« Er lacht. »Ist ja aber auch echt schlimm mit uns. Und das Schlimmste ist: Uns werden Sie noch bis an Ihr Lebensende therapieren müssen.«
    Herr G. verzieht keine Miene. Er deutet auf die Uhr.
    »Bis nächste Woche.«
    *
    Anna hat es mit Yoga versucht. Weil die Arbeit an ihrem Körper schließlich Teil der Arbeit an ihrem Gesamtpaket ist. Weil ihr Körper irgendwann ein einziges Wrack war. Weil er sich schlaff und fett anfühlte. Und weil Anna sich dringend entspannen musste. Sagten zumindest ihre besten Freundinnen und ihre Mutter.
    Beim Bikram Yoga erlitt sie sofort einen Asthma-Anfall. Anna wollte mithalten mit den durchtrainierten Körpern, die sich in knappen Yoga-Höschen vor ihr in der Hitze räkelten und verdrehten. Aber sie kam nicht mit. Die heiße, feuchte Luft ließ sie japsend zu Boden sinken, der Kurs wurde unterbrochen, der Trainer legte ihre Beine hoch und schaute besorgt. Anna war das furchtbar peinlich.
    »Könnte es sein, dass Ihre Leiden psychosomatischer Natur sind?«, fragte der Lungenarzt sie. »Lassen Sie doch den Quatsch mit der Schwitzgymnastik. Gehen Sie mehr spazieren, Sie sind ja ganz blass, Fräuleinchen.«
    Anna ging zum Kundalini Yoga. Der Kurs fand in einer düsteren Eso-Hütte, der

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