Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
er, von allem nur das Beste zu nehmen. Natürlich konnte er es nicht riskieren, dort in seiner eigenen Gestalt aufzutreten – wie sollte es sich ein Malcolm Fisher leisten können, Combe Hall zu kaufen? –, und deshalb entwarf er für sich einen neuen Typ, der ihn von nun an in seinem Leben begleiten sollte. Dabei beging er einen folgenschweren Fehler; als ihm klar wurde, was er damit angerichtet hatte, war es allerdings bereits zu spät.
Dabei hatte er diesen ganzen Ärger nur seiner eigenen Nachlässigkeit zu verdanken. Er war von der Aussicht, demnächst Combe Hall zu besitzen, derart begeistert gewesen, daß er das für den Verkauf zuständige Maklerbüro vor lauter Aufregung in seiner eigenen Gestalt aufgesucht hatte. Man führte ihn an jenem Tag in einen Büroraum, bat ihn, dort zu warten, und versicherte ihm, der Seniorchef komme gleich. Als sich die Tür für diesen Gentleman bereits öffnete, erhaschte Malcolm einen Blick von seinem eigenen, echten Gesicht im Spiegel und erkannte sofort seinen Fehler. Er befahl dem Tarnhelm, ihn in jemand anderen zu verwandeln, hatte aber keine Zeit mehr anzugeben, in wen. Zu seinem Entsetzen sah er, daß das Gesicht im Spiegel dem ihm bereits vertrauten schönsten Mann der Welt gehörte; aber der Makler hatte ihn mittlerweile gesehen, folglich war es zu spät, sich in eine etwas unauffälligere Person zurückzuverwandeln. Er steckte wieder einmal tief in der Patsche, wie es ihm seine Mutter schon immer prophezeit hatte.
Demgemäß war Malcolm dazu verdammt, sein neues Leben mit dem Gesicht und Körper von Siegfried dem Drachentöter, auch bekannt als der schönste Mann der Welt, zu beginnen. Notgedrungen erinnerte er sich an die Warnung der Taube, aber dazu war es nun zu spät. Malcolm hatte grundsätzlich zwar nichts dagegen, der schönste Mann aller Zeiten zu sein, aber schon der Anblick von Raben (oder Krähen und schwarzen Vögeln überhaupt; schließlich war er kein Ornithologe) versetzte ihn in Angst und Schrecken.
Unterdessen gestaltete er seine Rolle weiter aus, und durch Verschlagenheit und Findigkeit, wie er sie sich in einem solchen Ausmaß selbst gar nicht zugetraut hätte, gelangte er an die notwendigen Dokumente und Unterlagen. Um seinem neuen Ich eine Geschichte zu geben (Multimillionäre tauchen nicht so einfach aus dem Nichts auf), mußte er sich mit Hilfe des Tarnhelms zu nachtschlafender Zeit in die Computerräume fast jeder zweiten Behörde des Landes einschleichen, und da er über die moderne Technik des zwanzigsten Jahrhunderts so gut wie nichts wußte, löschte er versehentlich die komplette Lebensgeschichte einiger hundert Familien, bevor er das gewünschte Ergebnis erzielte. Schließlich hatte er aber alles beisammen, was er brauchte, um Herr Manfred Finger aus Düsseldorf zu sein; diesen Namen hatte er sich nämlich für seine neue Identität ausgesucht. Die Entscheidung, sich einen deutschen Namen zuzulegen, hatte sich allerdings ebenso unbeabsichtigt ergeben wie die törichte Verwandlung zum Siegfried; er hatte sich lediglich gewünscht, irgendein Ausländer zu sein (zumal man in Somerset davon ausgeht, daß alle Ausländer verrückt sind, und exzentrisches oder ungewöhnliches Verhalten von Fremden demnach einkalkuliert ist), und sich aufs Geratewohl ein Land ausgesucht. Daß er auf Deutschland verfallen war, ließ sich entweder wiederum seiner Nachlässigkeit zuschreiben, oder der Ring versuchte, sich von seinem Herrn abzuwenden, weil er von ihm gezwungen wurde, nur Gutes in der Welt zu tun. Malcolm war sich zwar nicht sicher, neigte aber zur ersten Erklärung, weil diese mehr seinem Naturell entsprach.
Schon bald war Herr Finger den Einwohnern der Ortschaft Combe bekannt, die natürlich erpicht darauf waren, mehr über ihren neuen Nachbarn zu erfahren. Wie es der einheimische Brauch verlangte, war auch schon bald darauf ein neuer Kosename für den neuen Gutsherren gefunden. Die verschiedenen Mitglieder der Familie Booth, in deren Besitz sich das Herrenhaus seit Beginn der Tudorzeit befunden hatte, waren allesamt unter einer Vielzahl liebevoller Beinamen bekannt geworden – wie ›Jack der Bekloppte‹ oder ›George der Suffkopf‹. Die Malcolm gewidmete Umschreibung lautete ›Manfred der stinkreiche Ausländerarsch‹. Solche Vertrautheit setzte allerdings noch lange nicht voraus, daß er von allen akzeptiert wurde. Obwohl allgemein eingeräumt wurde, daß Herr Finger nach außen hin recht freundlich und keinesfalls schlimmer als der
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