Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
soeben aufgerufen, sich auf dem Sammelplatz einzufinden. Mit der festen Absicht, sich in eine Pferdebremse zu verwandeln, um Philip Wilcox’ Gaul im geeigneten Moment zu stechen, begab sich Malcolm zu den in einer Reihe aufgestellten Pferdeanhängern, die unter einem niedrigen Wäldchen im Westteil des Parks vorübergehend als Stall dienten. Die Box der Familie Wilcox befand sich samt Pferd am hinteren Ende der Reihe.
Plötzlich kam Malcolm eine fiese Idee, die bestimmt vom Gott der Fliegen stammte. Wie wäre es, wenn …? Niemand beobachtete ihn; die Aufmerksamkeit aller schien ausschließlich einem feisten Jungen, den man in eine viel zu enge Reithose gequetscht hatte, und dessen geduldig leidendem Pony zu gelten. Malcolm machte sich unsichtbar, und mit einem äußerst flauen Gefühl im Magen (da er Angst vor Pferden hatte) führte er Philip Wilcox’ Pferd aus der Box heraus und anschließend in den dichten Wald hinein, wo er es sicher an einem Baum festband. Dann ballte er die Fäuste zusammen, wobei er die Fingernägel fest gegen die Handflächen preßte, verwandelte sich in ein exaktes Ebenbild des Tiers und ließ sich vom Tarnhelm in den Pferdeanhänger transportieren. Zwar stand ihm jetzt noch ein hartes Stück Arbeit bevor, aber das scherte ihn nicht weiter.
»Und du hast den neuen Besitzer wirklich persönlich kennengelernt?« erkundigte sich Tante Marjorie neugierig, während sie es sich auf einem Strohballen bequem machte. »Ich hätte nie gedacht, noch einmal den Tag erleben zu müssen, an dem ein Ausländer …«
»Aber das waren doch nur ein paar Minuten«, antwortete Liz Ayres. Sie hatte über die Jahre die Kunst erlernt, bei ihrer Tante Fragen von Kommentaren zu unterscheiden und jede Atempause oder andere Unterbrechung zu nutzen, um eine Antwort einzuwerfen.
»Wie ist er denn? Das Problem bei den meisten Deutschen ist …«
»Ich weiß es nicht. Er scheint einigermaßen nett zu sein, allerdings auf eine ziemlich bekloppte Art. Aber ich habe lediglich ein paar Worte mit ihm gewechselt.«
»Na ja, ich denke, wir können ihm alle sehr dankbar sein, daß wir mitten im Park einen Wassergraben ausheben durften. Anderseits scheint er nicht ganz bei Trost zu sein, sonst wäre ihm das bestimmt nicht egal gewesen. Colonel Booth hat uns das auch nie erlaubt, aber er war eben hin und wieder ausgesprochen schwierig. Ich erinnere mich, als wir …«
»Ich glaube sogar, daß er an Combe Hall nicht einmal sonderlich interessiert ist.« Liz fragte sich, ob Tante Marjorie in ihrem Leben überhaupt schon einmal einen Satz aus freien Stücken beendet hatte. Wahrscheinlich nicht. »Man hat mir erzählt, daß er absolut nichts tut und den ganzen Tag nur im Haus rumhängt. Daddy hat gesagt … Ach, guck mal, dahinten ist Joe!«
Leider fühlte sich Elizabeth Ayres beim Stechen des Hauptspringens hin- und hergerissen, da die beiden Teilnehmer mit den größten Siegchancen ihr Bruder Joe und ihr Verlobter waren. Joe war zwar der bessere Reiter, dafür schien Philips Pferd aber genau zum rechten Zeitpunkt in bestechender Form zu sein. Erst letzte Woche hatte Philip noch davon gesprochen, es zu verkaufen; vielleicht hatte es zugehört (manchmal scheinen Pferde wie Menschen zu sein), weil es heute wie eine Rakete über die Hindernisse schoß. Selbst Tante Marjorie, die, was Reit- und Springturniere anbelangte, fest an Entropie glaubte, hatte eingeräumt, daß das Tier gar nicht so übel sei.
»Ich setze auf deinen Freund«, sagte Tante Marjorie. »Wie heißt das Pferd von ihm noch mal? Es kommt heute mit den Scheuklappen gut zurecht und verhält sich fast so, als verstünde es den Reiter regelrecht.«
Da war etwas dran. Wie Philip immer wieder behauptete, war Intelligenz noch nie eine hervorstechende Eigenschaft von Mayfair gewesen. Ein Tier, das eine Papiertüte und einen rostenden Mini-Cooper nicht von einem Wolfsrudel unterscheiden könne und entsprechend reagiere, so seine Meinung, habe kaum Chancen, bei Mastermind zu gewinnen. Diese geistige Trägheit Mayfairs, die im krassen Gegensatz zu seiner körperlichen Gewandtheit stand, hatte Philip einen seiner gescheitesten Sprüche entlockt: Selbst wenn man Mayfair zum Wasser führen würde, pflegte er zu sagen, käme er wahrscheinlich nicht auf die Idee, davon zu trinken. Heute hatte sich Mayfair bislang allerdings völlig fehlerfrei verhalten, und das in jeder Hinsicht.
»Mister Joseph Ayres auf Moonbeam!« dröhnte es aus den Lautsprechern. Die Menge
Weitere Kostenlose Bücher